ORF-Reporter im „Sturm-Rausch“

Werter Florian Prates!

Vorweg, ich bin kein Fan eines anderen österreichischen Klubs. Allerdings interessiere ich mich für den Fußball seit Jugend an (damals auch aktiv) und kenne mich daher ganz gut aus.

„Geld spielt nicht Fußball“, war eine Ihrer Aussagen, als Sie in der Radiomoderation gestern den „Marktwert“ von Lille mit jenem von Sturm verglichen. Und trotz des großen Unterschieds ein heißes Match erwarteten, möglicherweise sogar den Abend der Abende für Sturm, eine Sternstunde Ihrer geliebten Mannschaft.

Nichts gegen einen Schuss Patriotismus und gegen Optimismus. Aber dabei sollte man als Reporter der Heimmannschaft nicht die Wirklichkeit völlig aus den Augen verlieren.

Frankreich ist ein Land mit knapp 70 Millionen Einwohnern, verfügt daher über eine der stärksten europäischen Fußball-Ligen, mit allem, was sich daraus ableiten lässt – zweimaliger Weltmeister und mehrfacher Europameister. Da sind die 14. bis 18. in der Liga zumindest gleich spielstark wie Sturm Graz: derzeit Nantes (323.000 Einwohner), Montpellier (302.000 EW), Le Havre (166.000 EW), Metz (121.000 EW) und Clermont (147.000 EW). Lille hat dort schon öfters verloren.

Und gegen wen tritt Sturm Graz zum Wochenende an: Hartberg (6.700 EW), Wolfsberg (25.100 EW), Altach (6.900 EW). Für Lille daher kein Ausrufezeichen, dass man derzeit in der untersten Liga der Europacup-Bewerbe aufspielt. Die genannten anderen französischen Mannschaften dürfen laut Regulativ nicht in Europa mitspielen, wären aber mindestens so stark wie Sturm.

Und nur deshalb können Sie mit Sturm darüber schwärmen, dass die Blackies mit vier Punkten und zwei Niederlagen in der Endphase mit Glück, aufgrund des besseren Torverhältnisses, ins Conference-League-Achtelfinale gerückt sind.

Noch einmal: Bei all Ihrer Euphorie für Sturm. Solche oder ähnliche Fakten würden der Moderation eines in die Weite blickenden Reporters guttun. Gerade in unseren Zeiten. Noch nie hat „so viel Geld im Fußball gespielt“ wie jetzt und „Geld schießt auch Tore“. Sonst würde nicht ein Kylian Mbappe (auch er hat schon gegen Lille verloren) für 130 Millionen Euro zu Real Madrid wechseln. Und Real würde mit einem Marktwert von 800 Millionen Euro (vorsichtig geschätzt) ihn nicht kaufen wollen.

Dann braucht’s weniger Ernüchterung nach 90 Minuten. Und weil „der geliebte Ball für immer rund ist“, war es dennoch ein interessanter Fußballabend.

Jürgen Lehner

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