Nur relevante und genaue Daten sind nützlich

„Das meiste, was ich von der Welt begriffen habe, habe ich nicht durch das Studium von Daten gelernt oder indem ich vor einem Computer saß und mich in Forschungsberichte vertiefte – obwohl ich das auch sehr viel gemacht habe –, sondern indem ich Zeit mit anderen Menschen verbracht und mit ihnen über die Welt gesprochen habe. Ich hatte das Privileg, auf Reisen und überall auf der Welt studieren und mit Menschen aller Kontinente, aller bedeutenden Weltreligionen und – am wichtigsten – aller Einkommensstufen arbeiten zu können.“

Instinkt als einzige Perspektive

Am 7. Februar 2017 verstarb Hans Rosling. Ein Jahr zuvor wurde ihm mitgeteilt, dass er unheilbar an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt sei. In dieser Zeit entstand das Buch mithilfe seiner Familie. Rosling war Gründungsmitglied von „Ärzte ohne Grenzen“ in Schweden, war Professor am Karolinska-Institut und Direktor der von ihm gegründeten Gapminder-Stiftung in Stockholm. Bill Gates über das Buch: „Eines der wichtigsten Bücher, die ich je gelesen habe.“ Ähnlich äußerte sich auch Ex-US-Präsident Barack Obama.

In einem Kapitel beschäftigt sich Rosling mit dem Instinkt als einzige Perspektive. Dort heißt es: „Wenn Sie Ihre Sicht auf die Welt von den Medien formen lassen, wäre dies gleichbedeutend, als würden Sie Ihr Bild von mir dadurch formen, dass Sie nur ein Bild meiner Füße betrachten. Es ist nicht so, dass ein Bild meiner Füße ein völlig falsches Bild von mir vermitteln würde. Es zeigt mich Ihnen nur nicht gänzlich. Woher sollen wir dann aber unsere Informationen beziehen, wenn nicht aus den Medien? Wem können wir vertrauen? Wie steht es mit den Fakten? Wir verstehen die Welt damit völlig falsch. Eine solche Denkweise spart einem viel Zeit. Aber sie ist nicht besonders hilfreich, wenn man die Welt verstehen möchte. Wenn man stets entweder für oder gegen eine bestimmte Idee Stellung bezieht, blendet man Informationen aus, die die eigene Sichtweise nicht stützen. Das ist gewöhnlich eine schlechte Herangehensweise, wenn Sie die Wirklichkeit begreifen möchten. Anstatt nur mit Menschen zu sprechen, die mit Ihnen übereinstimmen oder nach Beispielen zu suchen, die Ihre Ideen bestätigen, setzen Sie sich mit Menschen auseinander, die andere Ansichten haben, und betrachten Sie abweichende Ideen als eine wichtige Ressource, um die Welt zu verstehen.“

Gib’ einem Kind einen Hammer …

„Ich habe mich viele Male geirrt im Hinblick auf die Welt“, so Rosling: „Sie kennen vielleicht die Redensart: Gib’ einem Kind einen Hammer, dann sieht alles wie ein Nagel aus. Mediziner können eine sehr einseitige und eingeschränkte Denkweise entwickeln, im Hinblick auf die Medizin oder sogar auf eine bestimmte Art von Medizin. Die Welt lässt sich also nicht ohne Zahlen verstehen. Sie lässt sich aber auch nicht durch Zahlen allein verstehen. Der Instinkt der Schuldzuweisung strebt danach, einen klaren und einfachen Grund dafür zu finden, warum etwas Schlimmes passiert ist. Wer die Welt wirklich verändern will, muss sie verstehen. Sich nur auf den Instinkt der Schuldzuweisung verlassen, wird nicht weiterhelfen.“

Der Instinkt der Dringlichkeit verleitet uns zu augenblicklichem Handeln, angesichts einer erkannten unmittelbaren Gefahr. In ferner Urzeit war das sicher äußerst zweckmäßig. Wenn wir dachten, dass da im hohen Gras ein Löwe lauert, wäre es sicher nicht besonders klug gewesen, dem Verdacht zu analytisch auf den Grund zu gehen. Heute benötigen wir den Instinkt der Dringlichkeit beispielsweise noch, wenn aus dem Nichts ein Auto auf uns zufährt und wir ausweichen müssen. Aber ansonsten spielen unmittelbare Gefahren in unserem Leben kaum noch eine Rolle.

Wir haben es jetzt mit komplexeren und häufig abstrakteren Problemen zu tun, zu deren Verständnis der Instinkt der Dringlichkeit wenig beiträgt. Ganz im Gegenteil, er sorgt dafür, dass wir uns gestresst fühlen, hindert uns daran, analytisch zu denken und verleitet uns dazu, uns zu schnell festzulegen und auf drastische Aktionen zurückzugreifen, deren Folgen wir nicht ausreichend durchdacht haben.

Rosling warnte bereits 2017 vor einer Pandemie

Die fünf globalen Risiken, die uns beunruhigen sollten, waren für Hans Rosling – er schrieb das Buch 2017, also weit vor Corona – die Risiken einer globalen Pandemie, eines Finanzkollapses, eines Weltkriegs, des Klimawandels und extremer Armut. Und jedes dieser fünf Ereignisse hat das Potential, entweder direkt oder indirekt, Massenelend dadurch zu verursachen, dass der zivilisatorische Fortschritt für viele Jahre oder Jahrzehnte unterbrochen wird. Rosling: „Wenn wir hier versagen, wird nichts mehr funktionieren. Es handelt sich hier um Mega-Killer, die wir unbedingt verhindern müssen.“

Ganz oben steht aber für Rosling die globale Pandemie. Die Spanische Grippe, die sich gegen Ende des Ersten Weltkrieges über die ganze Welt ausbreitete, tötete 50 Millionen Menschen und damit mehr als dem Krieg zum Opfer fielen. Und: „Seriöse Experten“, so Rosling, „für Infektionskrankheiten stimmen darin überein, dass ein neuer aggressiver Grippe-Typ die größte Bedrohung für die globale Gesundheit darstellt. Der Grund dafür ist der Übertragungsweg der Grippe. Denn sie fliegt in kleinen Tröpfchen durch die Luft. Eine infizierte Person in der U-Bahn kann alle Mitreisenden im Waggon anstecken, ohne dass man sich gegenseitig berührt oder dasselbe angefasst hatte. Eine durch die Luft übertragene Krankheit wie die Grippe, die sich sehr schnell ausbreiten kann, stellt für die Menschheit eine größere Bedrohung dar als Ebola oder Aids. Uns auf jede erdenkliche Weise vor einem Virus zu schützen, der hochgradig übertragbar ist und gegen den alle Abwehrkräfte machtlos sind, ist, gelinde gesagt, jede Mühe wert.“

Die oben genannten Risiken sollten wir mit kühlem Kopf und robusten und unabhängigen Daten angehen. Ihnen zu begegnen wird nicht ohne globale Zusammenarbeit und globalem Ressourceneinsatz möglich sein. Man sollte sich ihnen nur in kleinen Schritten nähern, sie dabei ständig bewerten und auf drastische Aktionen verzichten. Um eine Factfulness für diese Problemlagen zu erreichen, schlägt Rosling Folgendes vor:

  1. Wenn Ihr Instinkt der Dringlichkeit ausgelöst wird, klinken Sie auch Ihre anderen Instinkte ein und Ihr analytischer Verstand verabschiedet sich. Bitten Sie um mehr Zeit und weitere Informationen. ,Jetzt oder nie’ kommt nur ganz selten vor, ‚entweder oder’ auch.

  2. Bestehen Sie auf Daten. Wenn etwas dringlich und wichtig ist, sollte es gemessen werden. Hüten Sie sich vor Daten, die relevant, aber ungenau sind. Nur relevante und genaue Daten sind nützlich.

  3. Hüten Sie sich vor Wahrsagern. Jede Prognose ist unsicher. Lassen Sie Vorsicht walten bei Prognosen, die das nicht eingestehen. Bestehen Sie auf einer vollständigen Reihe von Szenarien. Begnügen Sie sich nie nur mit dem Best oder Worst Case. Erkundigen Sie sich, wie oft solche Prognosen schon einmal richtig lagen.

  4. Seien Sie vorsichtig mit drastischen Aktionen. Erkundigen Sie sich nach den Begleiterscheinungen. Fragen Sie, wie die Idee getestet wurde. Praktische und schrittweise Verbesserungen und die Bewertung ihrer Wirkung sind weniger dramatisch, dafür in der Regel effektiver.

Quelle: „Factfulness“ von Hans Rosling (Ullstein Verlag)

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