400 Veranstaltungen hinterfragen allgegenwärtige Narrative
Die 57. Ausgabe des steirischen herbst steht unter dem Titel Horror Patriae. Das heurige Festival will mit seinem vielschichtigen Programm das dünne Papier des Vaterlandes mit poetischem Witz und disruptivem Diskurs durchleuchten. In mehr als 400 Veranstaltungen hinterfragt der steirische herbst ’24 allgegenwärtige Narrative, wie das der autochthonen Nation oder die scheinbare Notwendigkeit der „Wurzeln“. Er will das Künstliche im Authentischen und den hierarchischen Willen in den grass roots zum Vorschein bringen und den Boden, auf dem Nationalismus und andere Ismen wachsen, analysieren.
Intendantin und Chefkuratorin Ekaterina Degot zum heurigen Thema: „Zeitgenössische Kunst drückt den Geist der Zeit aus, nicht den Geist eines Ortes. Im Gegensatz zur Folklore ist sie nur sehr indirekt mit Heimat verbunden. Dies anders zu betrachten, kann uns sehr gefährliche Schlüsse ziehen lassen.“
Das Zentralgestirn des heurigen Festivals ist daher eine Ausstellung in der Neuen Galerie Graz, die einen humorvollen und doch kritischen Gegenentwurf zu gängigen Nationalmuseen bietet. Dazu umrahmt und vertieft eine Vielzahl unterschiedlicher Performances das Grundthema mit lokalen und internationalen Künstler:innen. In Diskursveranstaltungen, den herbst Deathmatches, werden über essenzielle Zukunftsthemen gestritten, während im herbstkabarett die Satire regiert.
Eröffnungswoche (19.9.–22.9.)
Der steirische herbst beginnt heuer in einem Innenhof, dem Lesliehof. Errichtet wurde das Gebäude für das obersteirische Benediktinerstift St. Lambrecht, später ging es in den Besitz des Grafen Leslie über. Es ist also ein Ort, an dem zwei bestimmende Mächte der letzten tausend Jahre sich die Hand gereicht haben, um das Narrativ des Vaterlandes ihren Zwecken dienlich zu pfegen. Intendantin Ekaterina Degot macht mit ihrer Rede diese Fiktion sichtbar, während Natalia Pschenitschnikova in ihrer Performance A.E.I.O.U. mit schelmenhaftem Augenzwinkern zeigt, wie die Dekonstruktion musikalisch gelingen kann.
Anschließend laden der steirische herbst und die Neue Galerie Graz zur Vernissage der Ausstellung Horror Patriae. Am Platz des Joanneumsviertels verbreiten Mélange Oriental mit ihren Melodien und Grooves kosmopolitische Freude. Drinks stehen bereit, Tanzen ist erwünscht.
In der Helmut List Halle beschließt das transnationale Kollektiv La Fleur den Abend mit der Premiere ihrer Performance The Phantom of the Operetta und einer anschließenden Party für alle in der Halle D.
Schon vor dem ofziellen Eröfnungstag, ab dem 14.9. bis 13.10., ist am KapistranPieller-Platz Yoshinori Niwas neue Installation und Dauerperformance Cleaning a Poster During the Election Period Until It Is No Longer Legible zu sehen.
Am Freitag geht das Eröfnungswochenende weiter mit neu in Auftrag gegebenen Performances von Ari Benjamin Meyers, der in einer Tennishalle Erwachsene von Kindern in den Schlaf singen lässt, und von Augustin Maurs, der Lieblingslieder von Diktatoren und Despoten singend neu deutet und von ihren Schatten befreit.
Ebenso am Freitag bilden Artist Talks mit Pablo Bronstein, Marko Tadić, Madison Bycroft, Jakub Jansa, Helene Thümmel, Piotr Urbaniec, Jan Peter Hammer und Roee Rosen ein erstes Highlight des Diskursprogramms. Die herbstvermittlung startet mit ihren Führungen mit Künstler:innen und den beliebten Eat and Greets, bei denen sich das Publikum im Anschluss an Performances bei einem gemeinsamen Essen mit den Künstler:innen unterhalten kann.
Im Partnerprogramm eröfnet im Grazer Kunstverein die Ausstellung Lacrimosa von Josef Dabernig, während Haus lebt das Stück Zreißteif präsentiert.
Im herbstcafé startet eine DJ-Reihe, die insgesamt achtmal, jeweils freitags und samstags, Beats und Grooves von Fringe bis Ambient bietet.
Am Samstag, 21.9., erweckt die Gewinnerin des Werner-Fenz-Stipendiums für Kunst im öfentlichen Raum, Clara Ianni, in ihrer Performance Resurrection ausrangierte Requisiten zu neuem Leben. Ebenfalls an diesem Tag gibt es Führungen mit den Künstlern Assaf Gruber und Jan Peter Hammer durch die Ausstellung, während im Orpheum Extra die herbst Deathmatches starten: Es diskutieren Boris Buden mit Eric Frey und Keti Chukhrov mit Ingo Niermann. Um den Samstag stilgerecht zu beschließen, fndet im Forum Stadtpark ein Performance-Party-Happening-Hybrid statt, passend betitelt mit Amalgam.
Zu den Highlights am Sonntag, 22.9., zählt die Premiere von Franz von Strolchens EMPIRE: Rooting for the Anti-Hero im Theater am Lend, wo ein zwölfköpfges Gamelan-Orchester Aufstellung nimmt, um die bizarr-imperialistische Reise des Grazer SC Straßenbahn nach Indonesien im Jahr 1934 musikalisch nachzuzeichnen.
Außerdem wird am Sonntag im Schauspielhaus Graz Thomas Köcks Chronik der laufenden Entgleisungen: Austria revisited uraufgeführt. Die Koproduktion des Schauspielhaus Graz mit dem Schauspielhaus Wien in Kooperation mit dem steirischen herbst hat schon für einigen medialen Wind gesorgt. Neben diesen Urauführungen fndet an diesem Tag auch eine Führung mit Intendantin und Chefkuratorin Ekaterina Degot durch die Ausstellung Horror Patriae statt. Für das dichte Programm von Haus lebt in Hartberg bietet die herbstvermittlung einen kostenlosen Busservice an.
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