Aktionskünstler Günter Brus im Alter von 85 Jahren verstorben

Aufreger-Buch: Von Ferkelei im Uni-Hörsaal 1 in Wien bis zu Hundertwasser. Eine politische Kulturgeschichte Österreichs von Herbert Lackner.

Er zählte nicht nur zu den bedeutendsten und radikalsten Künstlern Österreichs, sondern ist einer der wenigen österreichischen Künstler, die internationale Kunstgeschichte geschrieben haben. Günter Brus gilt als Pionier der Body Art und hat sowohl mit seiner radikalen Körperkunst als auch mit seinen originären Zeichnungen Generationen von Künstler weltweit beeinflusst.

Mit Günter Brus ist am Samstag (10.2.) nicht nur der letzte der Wiener Aktionisten gestorben, sondern ein ganz großer österreichischer Künstler. „Mit großer Trauer haben wir die Nachricht über das Ableben von Günter Brus empfangen. Einer der größten steirischen Künstler prägte durch seine Aktionen und sein zeichnerisches Schaffen eine Ära der österreichischen und internationalen Kunst“, so die beiden Universalmuseum-Joanneum-Geschäftsführer Marko Mele und Josef Schrammel. „Seine Arbeiten inspirieren und begeistern die Besucher:innen des Bruseums in der Neuen Galerie in Graz seit seiner Eröffnung und wir werden dafür Sorge tragen, dass sein Werk niemals vergessen wird. Unser tiefes Mitgefühl gilt seiner Familie und Freunden. Möge er in Frieden ruhen.“

KLIPP brachte in seiner November-Ausgabe des Vorjahres folgende Reportage.

6 Monate Gefängnis für nackten Revoluzzer

Aufreger-Buch: Von Ferkelei im Uni-Hörsaal 1 in Wien bis zu Hundertwasser. Eine politische Kulturgeschichte Österreichs von Herbert Lackner. Die Vorgänge an jenem Abend im Hörsaal 1 sind eine Schlüsselszene in Herbert Lackners Buch, in dem er anhand der immer wieder aufgeflammten Kulturkämpfe 100 Jahre österreichischer Zeitgeschichte schildert.

Es herrscht angespannte Neugierde am 7. Juni 1968 im vollen Hörsaal 1 des neuen Institutsgebäudes an der Wiener Universität. Plakatiert ist die Veranstaltung „Kunst und Revolution.“ Das auftretende, angekündigte Künstlerquartett hatte in den Jahren zuvor bereits mit provokanten Kunstaktionen in Österreich und Deutschland für Aufsehen gesorgt. Die vier Hauptakteure Hermann Nitsch (1938 bis 2022), Günter Brus (geboren 1938), Rudolf Schwarzkogler (1940 bis 1969) und der Älteste unter ihnen Otto Muehl (1925 bis 2013) sind junge Herren, als sie 1962 Pinsel und Leinwand weglegen und sich einer neuen Kunstform widmen – dem Aktionismus. Sie wollen nicht mehr zeichnen, malen oder Steine behauen. Nicht das Kunstwerk ist das Produkt künstlerischen Schaffens, sondern das Geschehen, die Aktion, die Provokation. Es ist auch ein Protest gegen die neue Wirtschaftswunder-Welt.

Die „Kunstwerke“ kann man nicht kaufen. Normen und Tabus werden dabei bewusst verletzt, meist ist der Körper die Projektionsfläche – der eigene oder jener des Objekts. Gearbeitet wird oft mit Blut, Urin und Kot, und das streng ritualisiert, in einem quasi-religiösen Akt, schildert Buchautor Herbert Lackner (Seite 146).

Als die kulturelle Erhebung der Studentenrevolte 1968 in Deutschland ihren ersten Höhepunkt erlebt und die Staatsmacht herausfordert, befinden sich die österreichischen Hochschulen noch im Ruhemodus. Das ist die Ausgangssituation, als an jenem Juni-Abend die lose Künstlergruppierung, die später unter dem Etikett des Wiener Aktionismus in die Kunstgeschichte eingehen wird, die vorherrschenden Ordnungsvorstellungen mit brachialer Radikalität herausfordern will.

Den Beginn machte Otto Muehl, der eine Hassrede auf den tags zuvor ermordeten Robert Kennedy hält. Oswald Wiener doziert über „Sprache und Denken“. Peter Weibel liest einen aktionistischen Text über Finanzminister Stephan Koren, wobei VALIE EXPORT auf die Kommandos „Aus“ und „Ein“ das Mikrofon entsprechend bedient, was im Saal für einige Unruhe sorgt.

Parallel zu den Vorgängen schneidet sich Günter Brus mit einem Rasiermesser in Brust und Oberschenkel, uriniert in ein Glas und trinkt daraus. Anschließend beschmiert er sich mit seinem eigenen Kot, masturbiert und singt dabei die Bundeshymne. Er kauert dabei splitternackt auf dem Katheder. Zum Abschluss peitscht Otto Muehl einen vermummten Masochisten.

Und nun kommt das allseits bekannte „Was wäre, wenn ...?“. Der Express-Krone-Journalist Michael Jeannée hatte offensichtlich als einziger Medienmann den Braten gerochen und war daher im Saal. Er berichtete über diese „Uni-Ferkelei“. Seine Formulierung sitzt und löst einen Skandal aus. Davon aufgescheucht, wird die Justiz tätig und nimmt Muehl, Wiener und Brus in Untersuchungshaft. In einem Schwurgerichtsprozess wird Muehl wegen Körperverletzung zu vier Monaten Haft verurteilt, Günter Brus hingegen wegen „Herabwürdigung österreichischer Symbole“ und „Verletzung der Sittlichkeit und Schamhaftigkeit“ zu sechs Monaten strengen Arrest. Erst Jahrzehnte später findet die Künstlergruppe Anerkennung, wird mit Ehrungen übersät und schlüpft in die Rolle von Staatskünstlern, deren Wirken sich heute die Republik stolz an die Brust heftet.

Aufgefallen sind die Revoluzzer, die später unter dem Etikett des Wiener Aktionismus in die Kunstgeschichte eingehen werden, schon in den Jahren zuvor. Weiß gekleidet und geschminkt mit einem aufgemalten Riss durch seinen Körper machte Günter Brus einen Spaziergang in der Wiener Innenstadt. Ein Polizist nahm ihn fest. Peter Weibel, der heuer verstorbene, langjährige Kurator der Neuen Galerie, sorgte mit seiner Lebensgefährtin VALIE EXPORT in einer Aktion „Aus der Mappe der Hundigkeit“ für Aufregung. Sie führte Weibel an einer Leine über die Wiener Kärntnerstraße, Weibel dabei auf allen Vieren.

Die Aktion und ihre fassungslosen Zuseher werden natürlich gefilmt und fotografiert. Nicht weniger kreativ ist eine Performance des Duos im selben Jahr am Stacchus im Zentrum von München. „TAPP und TASTKINO“ wird sie genannt. VALIE EXPORT trägt eine lockige Perücke und über ihren nackten Brüsten einen Kasten mit zwei Öffnungen. Peter Weibel wirbt mit einem Megafon um Publikum und bietet Schaulustigen den kostenlosen „Besuch“ dieses „TAPP und TASTKINO“ an. Besucher dürfen zwölf Sekunden lang mit beiden Händen durch die Öffnungen die nackten Brüste der Künstlerin berühren. Es sei ein taktiles Miniaturkino, so die Künstlerin. Peter Weibel und VALIE EXPORT müssen 1971 vor Gericht. Ein Monat Haft bedingt bekommen sie für die Herausgabe eines Kompendiums über den Aktionismus.

In einem Skandal, wie ihn Wien noch nie erlebt hat (Michael Jeannée in der Kronenzeitung), spielt der bereits arrivierte Maler Friedensreich Hundertwasser die Hauptrolle. Bei der Eröffnung einer Ausstellung seiner Werke im neuen Studentenheim Haus Döbling in der Billrothstraße in Anwesenheit von Kulturstadträtin Gertrude Santner hält er die Einführungsrede. Noch vor Beginn wirft er zwei Eier an die Wand – eines gefüllt mit schwarzer, ein anderes mit roter Farbe. Die Stadträtin bekommt einiges davon ab. Danach beginnt sich Hundertwasser zu entkleiden und hält schließlich splitternackt eine Rede, die er mit dem Satz einleitet: „Dieses Haus ist das größte Scheisshaus, in dem ich je gewesen bin und ihr Studenten müsst in diesem Gefängnis studieren.“ Die Stadträtin verlässt daraufhin fluchtartig den Saal. In allen Zeitungen wird tagelang über Hundertwassers Aktion diskutiert.

Jahre später, 1983, gestaltet Hundertwasser gemeinsam mit dem Architekten Josef Krawina einen kleinen Gemeindebau in Wien-Landstraße, das Hundertwasser-Haus. Heute eine der Touristenattraktionen der Stadt ... 1968, also vor 55 Jahren, wurde Günter Brus wegen der Hörsaal-Ferkeleien an der Universität Wien (Krone- und Express-Artikel) zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Weil ihm der Pass nicht abgenommen wurde, konnte sich Brus nach dem Prozess nach Berlin absetzen. 1976 wandelte Bundespräsident Kirchschläger die Haft in eine Geldstrafe um. Damit konnte Brus mit Familie nach Österreich zurückkehren.

Auch nach 55 Jahren bleibt das selbst für Kunstfreunde eine unappetitliche und unakzeptable „Aktion“.

Es zählt zu den Gesetzmäßigkeiten österreichischer Kulturkämpfe, dass auf den öffentlichen Skandal in aller Regel später Nachruhm folgt.

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