Es berührt die Herzen
Ein Besuch an der "Geburtsstätte": Unsere Sitznachbarin wischt sich die Tränen unter der Brille von der Wange, als die letzten Töne der Gitarre in der Stille-Nacht-Kapelle in Oberndorf bei Salzburg ausklingen. Rund 40 Besucher füllen die Kapelle und haben andächtig zugehört. Die Adventzeit hat begonnen. Ein Sänger-Duo – wie Joseph Mohr auf der Gitarre und Franz-Xaver Gruber am Heiligen Abend 1818 – hat das Lied im Rahmen einer Führung in der Originalfassung gesungen. Am 24. Dezember werden mehrere tausend Menschen das Gelände um die Kapelle säumen, weil sie diesen „magischen Moment“ erleben wollen. Genauso wie Millionen von aufgeregten Kindern, die im Kreis ihrer Familie und Lieben vor dem Christbaum warten, dass das Christkind kommt. Mit dem Erklingen von „Stille Nacht, heilige Nacht“ – ob aus dem Radio, dem Fernseher oder selbst gesungen und gespielt – heißen sie das Christkind willkommen.
„Ich weiß nicht warum, aber es geht mir jedes Mal, wenn ich ,Stille Nacht‘ höre, so unter die Haut. Es erinnert mich an meine Kindheit und dann wird mir irgendwie warm ums Herz“, entschuldigt sich die Sitznachbarin für den Gefühlsausbruch bei uns*
Der heurige Weihnachtsstern für die Geburt Christi, fürs Christkind, leuchtet besonders hell. Die Melodie „Stille Nacht, heilige Nacht“ wurde vor genau 207 Jahren das erste Mal in Oberndorf bei Salzburg gesungen. Es ist längst zu einer Welt-Hymne geworden – mit vielen Mythen und Geschichten. Zweieinhalb Milliarden Menschen singen die Friedensbotschaft Jahr für Jahr am 24. Dezember – in hundert Sprachen – und lassen sich von der Melodie verzaubern.
Eine junge Brasilianerin zu Missionsbischof Erwin Kräutler beim Singen: „Kennst du unser Weihnachtslied?“ In den meisten Regionen hält man es für eine Volksweise aus dem eigenen Land.
Enttäuscht
Das sind Besucher, die die Stille-Nacht-Kapelle zum ersten Mal sehen: Liegt sie doch nicht in der Idylle eines mit Schnee gesegneten Bergtales, sondern an einer Biegung des Flusses Salzach, rund 20 Kilometer nördlich der Stadt Salzburg, in der Gemeinde Oberndorf. Gegenüber am anderen Ufer liegt Laufen, schon in Bayern. Die Kapelle wurde in den 1930er-Jahren an jener Stelle erbaut, wo früher die St. Nikola Kirche stand. 1818 erklang dort erstmals die „Stille-Nacht“-Melodie. Weil die Kirche häufig vom Hochwasser der Salzach in Mitleidenschaft gezogen wurde, erbauten sie die Oberndorfer an einem sicheren Platz in der Gemeinde wieder neu.
Und wie uns Rudi, ein Führer im Stille-Nacht-Museum in Oberndorf, erklärt, durften Franz Xaver Gruber und Joseph Mohr ihr „Stille Nacht, heilige Nacht“ nicht zum Abschluss der Messe in der St. Nikola Kirche singen. Das Lied war in der Messe-Liturgie nicht vorgesehen. Damit stimmt auch die nette Geschichte nicht, dass eine Maus den Blasebalg der Orgel angeknabbert hatte und deshalb der Lehrer Franz Xaver Gruber und der Hilfspriester Joseph Mohr aus der Not heraus sich mit der Gitarre begleiten mussten. Erst viel später wurde das Lied zum emotionalen Höhepunkt jeder Christmette. Die beiden Freunde sollen die Melodie erstmals im Kirchenraum vor der Krippe angestimmt haben und später dann in den umliegenden Kneipen und Gasthäusern in Oberndorf/Laufen.
Das an der Salzach-Schlinge liegende schneearme Oberndorf/Laufen war zu jener Zeit ein wichtiger Handelsplatz. Das auf der Salzach transportierte Salz musste an der Flussschlinge in Oberndorf umgeschifft werden. Stromschnellen und Felsbrocken machten die Flussschlinge zu einer Herausforderung für die Schiffer. Über Jahrhunderte hinweg war die Salzach der einzige leistungsfähige Transportweg für das aus Hallein kommende Salz. Dieses wurde dann über Passau an die Donau geliefert und von dort bis zum Schwarzen Meer geschifft.
Ein Revoluzzer
Der damals 26-jährige Joseph Mohr ist in der Zeit von 1817 bis 1819 als Hilfspriester und Seelsorger für die Schiffergemeinde eingesetzt. Sein Vorgesetzter, der Pfarrer, beschwert sich schriftlich bei der bischöflichen Behörde über ihn und seinen Lebensstil: Dieser gehe mit einer langen Tabakpfeife, burschenmäßig gekleidet, über die Gassen. Er singe oft nicht erbauliche Lieder, er scherze auch mit Personen anderen Geschlechts, benehme sich wenig, nur nicht geistlich und fahre mit Mädchen und Schiffsbuben nächtens aus. Er vernachlässige die Seelsorge, das Studium und opfere alle seine Vorlieben nur seiner Musik und der musikalischen Unterhaltung.
Er sei auch einer, der sich nicht unterordnen will, schwärzt ihn Pfarrer Georg Heinrich Joseph Nössler am 30. Juli 1819 in einem Schreiben bei der Obrigkeit, bei der bischöflichen Behörde, an. Joseph Mohr, 1792 am 11. Dezember in Salzburg geboren, war als uneheliches Kind in ärmlichsten Verhältnissen aufgewachsen und kam so in die Obhut der Kirche.
Freund gefunden
In Oberndorf hatte sich Mohr mit dem Organisten der Kirche, Franz Xaver Gruber angefreundet. Dieser war Lehrer im benachbarten Arnsdorf und versah in der Kirche in Oberndorf den Orgeldienst. Mohr bat Gruber im Dezember 1818, für sein Gedicht „Stille Nacht, heilige Nacht“ eine Melodie zu komponieren, das er bereits zwei Jahre zuvor während seiner Seelsorger-Tätigkeit in Mariapfarr, einem Wallfahrtsort, geschrieben hatte. Am 24. Dezember 1818 erklingt „Stille Nacht, heilige Nacht“ dann zum ersten Mal – von beiden gemeinsam gesungen. Mitte 1819 wurde Joseph Mohr als Hilfspriester bereits nach Kuchl versetzt. Niemand weiß, wo die Original-Niederschrift des Liedes geblieben ist, die Franz Xaver Gruber Joseph Mohr gegeben haben soll.
Text und Melodie waren in einer Epoche entstanden, in der sich ganz Europa im Umbruch befand – fast wie heute. Die Menschen waren den Umständen hilflos ausgeliefert. Napoleon hatte ganze Landstriche mit Krieg und Verwüstung überzogen, zeichnete die Grenzen im alten Europa neu. Zudem kam im Jahr 1816 eine Naturkatastrophe mit verheerenden Auswirkungen auf Europa. Ernteausfälle, Schulden und ein Jahr „ohne Sommer“ führten zu Hunger und noch mehr Not. Vielleicht war es diese dramatisierte Situation, welche die Menschen für ein neues Lied empfänglich machte, weil es einen Funken von Hoffnung und Wärme verbreitet.
Die persönliche Tragik
Die beiden Freunde erfuhren nichts davon, dass ihr Lied in den nächsten Jahrzehnten einen Siegeszug um die Welt angetreten hatte. Joseph Mohr starb 1848 nach vielen Stationen in verschiedenen Pfarren als Vikar am 4. Dezember in Wagrain. Er war zeitlebens für die Ärmsten da. Seine einzige materielle Hinterlassenschaft war eine Gitarre, die später in den Besitz der Familie des Komponisten Franz Xaver Gruber kam. Dieser verstarb 1863 in Hallein, also 15 Jahre später. Er war dort Chor-Regent, hatte gleichsam eine Lebensstellung gehabt. Die Anfänge der Popularität seiner Weihnachtsmelodie hatte Gruber noch erlebt.
Im Stift St. Peter in Salzburg war 1854, also neun Jahre vor seinem Tod, ein Schreiben der königlich-preußischen Hofkapelle in Berlin eingelangt. Man bat um Auskunft über Johann Michael Haydn, der für den Urheber des Liedes gehalten wurde. Preußen-König Friedrich Wilhelm IV wollte eine Abschrift der Noten für seine Hofkapelle haben. Ein Sohn Franz Xaver Grubers war als Sängerknabe im Konvikt, sodass die Urheberschaft geklärt werden konnte. Franz Xaver Gruber verfasste daraufhin die „Authentische Veranlassung zur Komposition des Weihnachtsliedes“. Erst ab diesem Zeitpunkt erfuhrt also die Welt, wer dieses unsterbliche Lied geschaffen hatte. Bis dahin galt es als Tiroler Volkslied.
* Eine Gruppe von internationalen Medienleuten aus 13 Ländern, wie Deutschland, Russland, Italien, Spanien, Frankreich, den USA, Ungarn, Dänemark usw., wandelte auf Einladung von SalzburgerLand Tourismus auf den historischen Spuren.








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