„Der Zerrissene“ im Grazer Schauspielhaus

Premierenpublikum zeigte sich begeistert von Nestroys Werk

In Wien wurde „Der Zerrissene“ 1844 uraufgeführt – eine Zeit, geprägt von einem absolutistischen Polizeistaat und wirtschaftlichem Notstand. Kein Wunder, dass „Arm und Reich“ ein Leitmotiv in Nestroys Werk darstellt. So auch in der Posse „Der Zerrissene“: Herr von Lips steckt in einer Art Lebenskrise – er selbst diagnostiziert „ein zerrissenes Gemüt“. Die eigentliche Ursache ist jedoch ein Leben in unglaublichem Überfluss, aber ohne Ziel und Inhalt. Doch als Lips unverhofft in ein anderes Leben fällt, ist er gezwungen, sich mit der realen Welt zu konfrontieren und auf seine Gefühle zu hören.

Am vergangenen Wochenende gab’s die Premiere im Grazer Schauspielhaus und das Publikum zeigte sich nach den knapp zwei Stunden begeistert.

Regisseurin Ulrike Arnold und ihr künstlerisches Team rücken die gesellschaftlichen Unterschiede in den Fokus, indem sie zwei kontrastreiche Welten erschaffen, die sich in der Konzeption von Bühne und Kostüm sowie in der Anlage der Figuren und Bühnensprache widerspiegeln – von der Weite in die Enge, vom Schweben ins Rennen, von der Hochsprache in den Dialekt, vom Reichtum in die Armut. Dass Reichtum nicht zwangsläufig Glück und Zufriedenheit bedeutet, und es »viel gute Mensch’n, aber [nur] grundschlechte Leut’« gibt, manifestiert sich in den gehaltvollen Figuren. Doch »was oder wo wären wir ohne unsere Unglücklichkeit? Wir haben sie bitter nötig.« Nestroys Posse lebt von scheinbar unverbesserlichen Charakteren, schrägen Konstellationen und unglaublichen Zufällen.

Eine aberwitzige Steigerung in der Handlung sowie die virtuose Sprache gehören zu Nestroy – genauso wie die Couplets. In der Zeit des Vormärz galten diese als Mittel der Befreiung aus der strengen Zensur. Denn indem sie von Abend zu Abend neu improvisiert wurden, konnten sie mit beißender Sozialkritik ersetzt werden. Heute sind wir nicht von einer Zensur betroffen, dennoch können die Couplets dieser Inszenierung als Mittel der Befreiung verstanden werden. Eine »Befreiung« aus der eng gestrickten Komödie, die nur gewissen (männlichen) Figuren Witz und Handlungsspielraum zugesteht. Die Grazer Autorin Ulrike Haidacher ist gemeinsam mit dem Ensemble in den nestroyi’schen Abgrund getaucht, um in den Couplets eine Reflektionsebene für die Figuren und ihr Spiel zu eröffnen. Und damit der einen oder anderen von Nestroy fallengelassenen Figur eine Stimme zu verliehen – eine laute, versteht sich.

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