Es darf nicht lauwarm sein

Künstlerischer Leiter und Dirigent des Ensemble Zeitfluss Edo Micic im Interview

Der Zeitgenössischen Musik wurde schon öfter das Ende prophezeit. Von ganz lebendiger Seite zeigen sich im Gegensatz dazu die engagierten MusikerInnen des Ensemble Zeitfluss, das heuer das 20-jährige Jubiläum feiert. KLIPP hat dem künstlerischen Leiter und Dirigenten Edo Micic einige Fragen gestellt.

Sie stammen aus Zadar, haben in Graz studiert und unterrichten an der Musikuni Dirigieren, Komposition und Musiktheorie.   In jungen Jahren waren Sie Rockmusiker, jetzt widmen Sie sich ganz der Zeitgenössischen Musik (ZM).

Edo Micic (lacht): Ja, mit 17 hatte ich eine Rockband in Zadar, wir spielten, Stones, Deep Purzle, Doors u.a., wir konnten sogar mehrstimmig Singen. Mein Gitarrist hat sich dann der kommerziellen Rockmusik verschrieben und 1989 mit der jugoslawischen Band „Riva“ den Eurovision Song Contest gewonnen, der einzige Sieg für Jugoslawien. Da studierte ich schon ein Jahr an der Musikuni Graz bei dem großartigen Professor Milan Horvat. Davor hatte ich die Aufnahmeprüfung für das Fach Dirigieren gemacht, ohne ein Wort Deutsch zu können, Horvat übersetzte alles für die Prüfungskommission. Er sagte: Er wird schnell Deutsch lernen. 

Wann kam die Entscheidung für die Zeitgenössische Musik?

Edo Micic: Ich war dann Assistent von Beat Furrer, dem renommierten Komponisten und Gründer des Klangforum Wien. Ich konnte bald Ensembles dirigieren, und irgendwann wollte ich ein eigenes haben. Ende 2003 war es dann soweit. Der Saxophonist Clemens Frühstück, der Komponist Kiawash Sahebnassagh (jetzt in Teheran an der Hochschule tätig) und meine Wenigkeit gründeten gemeinsam das Ensemble Zeitfluss (EZ). Beim allerersten Konzert 2004 spielten wir Kammermusik von Ligeti, eine Uraufführung von Klaus Lang und eine Komposition von Sahebnassagh. Wir hatten uns die Latte hoch gelegt, aber das Konzert war sehr gelungen. Wir erhielten darauf eine Einladung zum Musikprotokoll und spielten in der Helmut List Halle die “Stadtoper“ von Peter Ablinger.

Welche sind die Lieblingskomponisten des Ensemble Zeitfluss?

Edo Micic: Ich möchte vorausschicken, dass in Graz eine sehr starke Szene der ZM existiert. Komponisten wie Georg Friedrich Haas, Beat Furrer, Gerd Kühr, Bernhard und Klaus Lang bereichern seit Jahrzehnten das Musikgeschehen. Ihnen verdanken wir bis heute eine ganze Reihe großartiger Kompositionen. Das EZ hat aber auch eine Vorliebe für das Ende des 19. und den Beginn des 20. Jahrhunderts, also für Schönberg, Webern, Berg, Stravinsky, Ravel, Debussy u.a. - Ligety nicht zu vergessen, der den Humor in die ZM gebracht und auch in Graz unterrichtet hat.

Wieso ist es so schwierig, mit ZM ein breites Publikum anzusprechen?

Edo Micic: Alle kämpfen heute um das Publikum, das ist bei Klassik, Jazz oder in der Oper nicht anders. Man wird ja heute überall von Musik überschwemmt, noch dazu gratis, YouTube ist der Totengräber für jede Art von Musik. Es gibt aber auch keine profunden Kritiker und Vermittler von Musik mehr wie einst Karl Löbl oder Marcel Prawy. Musikkritik ist heute nur mehr berichtend, nicht mehr substanziell. Früher gab es im Fernsehen wunderbare Übertragungen von Opern und Konzerten, auch die Sonntagsmatinee im ORF war ein Ereignis mit super Interpreten. Das fehlt heute, und das Publikum geht verloren.

Was würden Sie jemandem empfehlen, der zum ersten Mal ZM hört?

Edo Micic: Es gibt phantastische Werke in der ZM, aber sie müssen mit Hingabe gespielt und gut interpretiert werden. Wenn das passt, dann wird jeder mitgerissen. Es darf nur nicht lauwarm sein. Mir passiert es selbst manchmal (auch bei klassischen Konzerten), dass ich nur auf den Schluss warte, weil es unerträglich langweilig ist.

Das Ensemble Zeitfluss ist international besetzt, mit wie vielen Nationen?

Edo Micic: In den letzten 20 Jahren hatten wir MusikerInnen aus ca. 15 Nationen, darunter Österreich, Kroatien, Serbien, Deutschland, Ungarn, USA, Italien, Japan, Griechenland, Korea, Lettland, Australien. Die Herkunft spielt aber keine Rolle, es geht um das Können der MusikerInnen. Wir sind auch das erste Ensemble aus Graz, das in Residenz bei der Österreichischen Gesellschaft für ZM (ÖGZM) ist, mit der wir gemeinsam Projekte entwickeln und Konzertreisen organisieren, z.B. nach China, Belgien, Kroatien, Bosnien und Mazedonien.

Auf welche Konzerte dürfen wir uns in nächster Zeit freuen?

Edo Micic: Im November gehen wir auf Reise und spielen wieder in Nikosia am Festival für Neue Musik. Bald darauf kann man uns am 18. Dezember im Kultursalon in der Grazer Herrengasse hören, wo das Stück „Weihnachtsmusik“ von Schönberg auf dem Programm steht. Darauf freuen wir uns sehr. Nach Neujahr gehen dann wieder die Konzerte im Minoritensaal mit Werken renommierter und weniger bekannter junger Komponisten weiter. 

Danke und weiter viel Erfolg!

Von Reinhard Schuch

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