Auch 25 Jahre danach erschütternd
Am 11. November 2025 kamen sie wieder zusammen, die Hinterbliebenen der 155 Toten von Kaprun. Wie jedes Jahr an diesem Tag, trafen sie sich an der Gedenkstätte, die für ihre toten Kinder, Mütter, Väter und Partner errichtet wurde, weil sie vor 25 Jahren im Tunnel der Gletscherbahn verbrannten und erstickten.
Alle, die das gemeinsame Leid zusammenführt und die sich dort, am traurigsten Ort Österreichs, begrüßen, kennen sich gut. Doch ihre Zahl wird kleiner. Immer häufiger und viel zu früh sterben Kaprun-Opfer an gebrochenem Herzen, dem Broken-Heart-Syndrom. Zu schmerzhaft sind Trauer und Kummer über den vermeidbar gewesenen Tod ihrer Angehörigen; zu mächtig sind Wut und Zorn über eine Justiz, die keine Österreicher schuldig sprechen durfte; zu groß sind Verachtung und Verbitterung über einen Staat, der mit Lügen und manipulierten Beweisen die Wahrheit unterdrückte, weil eine Tourismus-Lobby um Österreichs Image als Tourismus-Land und ihre Gewinne bangte.
Keine Lüge war der österreichischen Justiz zu schäbig, kein Betrug zu erbärmlich, keine Intrige zu schmierig, keine Fälschung zu dreist und kein Trick zu schmutzig in diesem Monster-Verfahren.
Rückblende zum 11. November 2001
In Österreich löste die Unfallmeldung Schock und Trauer aus. Auch in den Nachbarländern Deutschland, Italien, Skandinavien, aber auch in Japan und den USA Ungläubigkeit darüber.
Kaum war der Brandtunnel in Kaprun aber begehbar, stürmten ihn Beamte des Innenministeriums aus Wien und entwendeten aus den Fahrständen des unzerstörten Gegenzugs alle Gegenstände, die für die Brandermittlung benötigt wurden. Darunter waren auch zwei eingebaute Heizlüfter. Als einen Tag später der unabhängige Gerichtsgutachter in den Tunnel stieg, um in der Bahn die Brandentstehung zu rekonstruieren, sah er in den Cockpitwänden nur noch zwei leere für die Heizlüfter ausgeschnittene Löcher mit dahinterliegenden Hydraulikleitungen. Alle Beweismittel waren widerrechtlich entfernt worden und befanden sich an einem geheimen Ort in Wien.
59 Prozesstage dauerte das von einem Salzburger Einzelrichter geleitete Kaprun-Verfahren, eine Zeit in der die Hinterbliebenen durch die Hölle gingen. Dabei hätten eigentlich nur wenige Tage ausgereicht, um die Schuldfrage gerichtsfest zu klären, so eindeutig klar waren die Beweise für unfassbare Schlampereien bei Bau und Betrieb der Kapruner Gletscherbahn.
Entgegen aller Sicherheitsvorschriften waren in den vier Fahrständen der Standseilbahn simple Haushaltslüfter direkt neben unter Druck stehenden Hydraulikleitungen geschraubt worden, die ein hochexplosives und weltweit verbotenes Öl enthielten. Und da keine Fachfirma, sondern ein benachbartes Unternehmen die neuen Zugaufbauten aus Kunststoff stümperhaft aber preisgünstig auf die alten Fahrgestelle montiert hatte, erwiesen sich die Cockpits als undicht. Bei jeder Fahrt durch den nasskalten Tunnel ließ eisige Zugluft die Fahrer frieren.
Trotz ihrer Beschwerden half der Betriebsleiter den Fahrern nicht, sodass sie sich in ihrer Not primitive Bretterverschläge bastelten, die sie luftdicht hinter die Metallwände der Fahrpulte einpassten und mit Isolierwolle abdichteten. Nun drang zwar keine Zugluft mehr in die Fahrstände, aber auch die Heizlüfter waren von der Luftzufuhr abgeschlossen und erhielten keine Frischluft.
Zeitbombe tickte
Sechs Jahre fuhren die beiden Bahnen täglich Skifahrer von der Talstation Kaprun zum Alpincenter unter dem Kitzsteinhorn und wieder zurück. Dabei arbeiteten die gesetzeswidrig eingebauten Haushaltsheizlüfter unter Extrembedingungen. Seit 1994 sprang jeder Lüfter etwa 90.000 Mal im Acht-Minuten-Takt an, bevor der Zug nach drei Minuten stromlos mit einer Geschwindigkeit von 35 km/h durch den nasskalten Tunnel rumpelte. Bei jeder dieser 3,9 Kilometer langen Pendelfahrten waren die Lüfter einem Höhenunterschied von 1.534 Metern und Temperaturschwankungen von über 20°Celsius ausgesetzt.
Millionen Fahrgäste wurden so transportiert, doch niemand kontrollierte die beiden Züge. Keiner der Experten von der Seilbahnaufsicht, vom TÜV und der technischen Leitung der Gletscherbahn schaute hinter die Metallwände; niemand entdeckte die illegalen Holzverschläge; niemand wechselte die Hydraulikleitungen aus, die durch das aggressive verbotene Öl porös und undicht wurden; niemand sah die sich immer stärker ausbreitenden brandgefährlichen roten Öltropfen an den Holzbrettern; niemand bemerkte, dass die Lüfter Öl ansaugten, das den glühenden Heizdrähten immer näher kam; niemand spürte, dass in den Cockpits eine Zeitbombe immer schneller tickte.
Tag der Katastrophe
Es war der 11. November 2000. Da trafen Öltropfen auf die Glühdrähte. Zuerst brannte es im Lüfter, dann entzündeten sich die Ölleitungen und 180 Liter explodierten im Hydrauliköltank. Weil der Zug nicht aus brandhemmendem Material bestand, wurden hochtoxische Nervengifte frei, deren Rauch den gesamten Tunnel füllte.
Panisch suchten die Fahrgäste im brennenden Zug Notbremsen, Feuerlöscher, Notöffner für Türen, Rauchmelder oder Kommunikationsmöglichkeiten zum Fahrer. Doch alles fehlte! Weil es keinen Brandschutz gab, waren sie im Zug gefangen. Zwölf Personen schlugen Fenster ein und schafften es bis zum Tunnelausgang; 155 erstickten und verbrannten im Tunnel oder in der Bahn.
16 Österreicher waren für die Sicherheit der Bahn verantwortlich:
Der Technische Direktor, der Betriebsleiter, Techniker, Prüfer und Mitarbeiter der Seilbahnaufsicht. Doch sie wurden alle freigesprochen! Dafür erklärte das Gericht den nur für Bad und WC zugelassenen Haushaltsheizlüfter für schuldig, obwohl 670.000 baugleiche Geräte weltweit ohne Beanstandung im Einsatz waren. Und weil das Heizgerät aus Schwaben kam, wurde Deutschland zum „primären Tatort“ der Brandkatastrophe von Kaprun.
Verzweiflung, Tränen und Wut weltweit
Als Kaprunrichter Manfred Seiss am 19. Februar 2004 in Salzburg alle österreichischen Beschuldigten freisprach, stürzte für die Hinterbliebenen die Welt ein. Erst war es still, dann schrien sie ihr Entsetzen hinaus. Eltern brachen zusammen und Angehörige weinten hemmungslos. Voller Verzweiflung rannten sie aus dem Saal und vor die Kameras internationaler Medien. Ihre Empörung, ihre Schreie, ihre Tränen und ihre Wut gingen um die Welt.
Doch Politik, Regierung und Tourismusverbänden interessierte nicht das Leid der Hinterbliebenen, nicht die Verzweiflung der Opferfamilien und schon gar nicht die Aufklärung der Brandkatastrophe! Es ging ihnen um die Rettung der österreichischen Tourismuswirtschaft; denn wer hätte bei einem Verschulden Österreichs dort noch gerne Urlaub gemacht. Ohne Skrupel, ohne Hemmungen und ohne Beweise erfanden österreichische Juristen und Gutachter die Lüge von der Selbstentzündung des deutschen Heizlüfters und trieben damit gnadenlos ein solides schwäbisches Familienunternehmen mit 400 Mitarbeitern in den Ruin.
Entscheidender Hauptbeweis verschwunden
Der Mann, der den angeblichen Beweis für die deutsche Schuld und die österreichische Unschuld lieferte, war ein 82-jähriger sehbehinderter Gutachter, der nicht wusste, dass man ihm manipulierte Teile eines schwäbischen Heizlüfters untergeschoben hatte. Als dann Ermittler aus Baden-Württemberg diese für den Kaprun-Prozess wichtigsten Beweismittel untersuchen wollten, fehlten sie. Kurz vor dem angekündigten Besuch der deutschen Kriminologen war der für die Freisprüche der 16 angeklagten Österreicher entscheidende Hauptbeweis aus der Asservatenkammer des Landesgerichts Salzburg heimlich entfernt worden, um dann nie wieder aufzutauchen.
Kaprun ist nicht nur Österreichs schwerste Katastrophe des Skitourismus, es ist auch Westeuropas größter Justizskandal nach 1945. Involviert waren Politiker, Minister, Beamte, Richter, Polizisten, Gutachter, Verteidiger und Tourismus-Manager.
Auszug aus „True Crime Kaprun – Kriminalfall Kaprun“ von Hubertus Godeysen
Anmerkung zum Danach
Zu den den Verteidigern der 16 Angeklagten gehörte damals auch Wilfried Haslauer, von 2013 bis 2025 Landeshauptmann Salzburgs. Sowie als „Star-Rechtsanwalt“ Wolfgang Brandestetter, von 2013 bis 2017 Justizminister der Republik und danach von 2018 bis 2021 Richter am Verfassungsgerichtshof. Im Zuge der Pilnacek-Affäre legte er seine Funktion zurück, weil der Verdacht des Amtsmissbrauchs im Raum stand. Im Februar 2025 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Einer der führenden Ermittler des Innenministeriums in der Kaprun-Katastrophe stieg zu einem leitenden Beamten auf.
Hubertus Godeysen, Autor des Buches „155 – Kriminalfall Kaprun“: „Bis heute ist man bemüht, sich in der Öffentlichkeit nicht mit den Umständen und Vorgängen der Schande von Kaprun auseinanderzusetzen. Weil man um das Image als Tourismusland nicht beschädigen will. Internationale ist das zum Zeitpunkt des Gedenkens sehr wohl noch ein Thema. Ich hab’ erst jüngst einen Hintergrundbericht für skandinavische Medien verfasst.“
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