Ein Krokodil für die Seestadt

Aspern – früher ein Flugfeld, heute ein attraktiver Platz zum Wohnen

Ganz wohl fühle ich mich nicht. Das gestehe ich. Denn ich bin weder mit Bus, (U-)Bahn oder E-Auto, sondern mit einem stinknormalen Verbrenner hierher gekommen – wenn auch nur als neugieriger Besucher. Ein Blick auf die Preise im Parkhaus zeigt mir aber Toleranz: 4,5 Euro kostet es – nein, nicht die Stunde, wie in so mancher Tiefgarage bei uns daheim in Graz, sondern der ganze Tag!

von Isabella Hasewend

Die Seestadt Aspern. Neuland für mich. Zwar schon gehört von diesem neuen Stadtteil, der seit dem Jahr 2010 in Wien auf einem ehemaligen Flugfeld entsteht. Nur 15 Kilometer von der historischen Altstadt entfernt mit der U-Bahn, die alle zehn Minuten fährt, dauert’s bis zum Prater oder zur Hofburg nur gute 20 Minuten. Aber was genau hinter diesem ökologischen Stadtteil steckt– dafür bin ich zu einem Lokalaugenschein hergekommen. „Ist es nicht schön hier? Da braucht man ja wirklich nicht auf Urlaub weg zu fahren. Du kannst schwimmen, einen Kaffee trinken gehen, dich sonnen. Irgendwo am Meer machst du ja auch nichts anderes“, schwärmt die 65-Jährige Melanie. Die Seestädterin ist heute mit ihrer kleinen Enkelin zum Schwimmen gekommen. Vor zwei Jahren ist sie mit ihrem Mann hierher gezogen – und zwar „genau aus diesem Grund – wegen dem See.“

Grün, klimafreundlich, keine grauen Betonblocks

Nach zehn Jahren Bauzeit ist das erste Drittel des neuen Stadtteils nun fertig. Moderne Geschosswohnbauten gruppieren sich um das Zentrum mit Geschäften, Restaurants und Cafés. Der Plan der Planer: Neben Wohnungen für 30.000 Menschen entstehen auch Schulen, Kindergärten und bis zu 20.000 Arbeitsplätze. All das so klimafreundlich wie möglich. Autos müssen draußen bleiben, weitgehend. Auf den Dächern gibt es Photovoltaikanlagen, unter der Erde Wärmespeicher und in den Gebäuden modernste Energieeffizienztechnik.

Ins Auge sticht mir bei meinem ersten Rundgang das viele Grün überall, Blumen und Pflanzen auf den Plätzen und an den Straßen, aber auch an den zahlreichen Balkonen der Gebäude, begrünte Fassaden und Dach-Bepflanzungen. Fast jedes Haus schaut anders aus – keine einheitlichen, grauen Betonblocks. Davon können wir in der steirischen Landeshauptstadt – siehe Smart City oder Reininghaus – nur träumen. Hier in der Seestadt ist alles – „Wien ist anders“ – wirklich so.

Dorfcharakter in Stadt

Eva-Maria-Mazzuco Platz, Gertrud Bodenwieser Gasse oder Wangari-Maathai-Platz. Wir Frauen sind hier stark vertreten, was mir gefällt, bevor ich in einem Fahrradladen „lande“. Nennt sich „United In Cycling“, eines von mittlerweile bereits an die 500 Unternehmen in der Seestadt. Logo, dass die Fahrradwerkstatt ganz gut läuft. „Aber noch mehr Laufkundschaft wäre klass“, so Patrick, der von allen nur „Tricky“ genannt wird. Er mag die Seestadt sehr.

„Vor allem der See ist ein Traum. Er ist das Herzstück, da musst unbedingt rein springen“, schwärmt er. „Wir leben hier wie in einem Dorf und du bist trotzdem schnell in der Stadt. Die Leute kennen sich – nicht zuletzt auch die Kinder untereinander. Es leben ja – die Mieten sind günstig und gefördert – ganz viele Familien hier und alle können sich frei bewegen auf den vielen Freiflächen und Spielplätzen. Auch weil die ganze Seestadt eine komplette 30er-Zone ist. Das soziale Leben spielt sich zu großen Teilen draußen ab. In der zweiten Bauphase entstehen auch frei finanzierte Wohnungen, Lofts und Reihenhäuser.“

„Damit kommst du schneller vorwärts“, borgt mir Tricky netterweise ein älteres Modell und mit dem Drahtesel passe ich auch ins „innovative Mobilitätskonzept“. Sigrid ist eine von mittlerweile über 11.000 Menschen, die hier in der Seestadt leben und mit ihrer Familie vor sieben Jahren in die Seestadt gezogen ist. „Wir wollten raus aus der Großstadt, ins Grüne“, erzählt sie. Auch wenn es am Anfang gar nicht so grün war, gibt sie zu. „Aber dann wurde wieder viel entsiegelt und mehr Grünflächen angelegt, sodass es jetzt wirklich schön ist. Außerdem ist hier auch nicht alles so anonym wie in Wien, wo du deinen Wohnungsnachbarn oft nicht einmal kennst.“

Apropos kennen: Für jedes Gebäude gibt es eine sogenannte Energie-Vertrauensperson als Ansprechpartner für Probleme mit Heizung, Lüftung oder Elektrik. Eine Smart-User-App soll Mieter zu besonders sparsamen Verhalten motivieren, kann alle Daten vergleichen und mit dem „Eco-Button“ lassen sich ausgewählte Lampen und Elektrogeräte sogar per Knopfdruck abschalten. Doch wer macht das wirklich? Wurde bisher kaum genutzt. Sozialwissenschaftlerin Nicole Kreuzer hat den Grund dafür herausgefunden. Die Menschen wollen das gar nicht wissen und verstehen es oft auch nicht richtig. Ihre Empfehlung: Mit ihnen lieber darüber sprechen, ob sie sich in ihrer Wohnung wohlfühlen.

HOHO: steirisches Holz

Am Wangari-Maathai-Platz mache ich einen Stopp mit meinem Fahrrad. Er ist nach der früheren kenianischen Umweltministerin benannt. Wow, so hoch, wenn ich nach oben schau: 84 Meter in den Himmel und 24 Geschoße, habe ich da in den Unterlagen gelesen. Das HOHO entstand 2019 mit Holz aus der Steiermark. Als grün-weißer Fan sage ich super! Aber warum gibt’s eigentlich nicht auch bei uns – im grünen Herz Österreichs – so was Ähnliches? Ich schau’ mir jetzt an, wie’s drinnen zugeht. Legionen von internationalen Delegationen waren schon vor mir da, weil sie das Vorzeigeprojekt im Holzbau auch faszinierte. Ich sehe es nicht so global, mich spricht sofort das Fitnessstudio im fünften Stock an. Schon beim. „Schau’ dich ruhig um“, begrüßt mich Tom am Empfang. Schon beim Eintreten spüre ich das. Oft riecht es in „Muki-Buden“ ja eher unangenehm, nach Schweiß. Nicht so hier. „Das Holz verleiht all’ dem ein ganz eigenes Klima, saugt die Gerüche quasi auf“, spricht Tom die „warme Atmosphäre“ im Studio an. Ja, da kriegt man fast Lust auf ein Training, stimme ich zu.

Und Tom erstaunt, als ich ihn mit einem Brustklopfer „aufkläre“, dass das Holz aus dem steirischen Gaishorn von Mayr-Melnhof kommt. Innovativ hergestellt, zeige ich auf die Deckenelemente. Ich weiß das auch nur aus den Unterlagen. Diese haben eine unterstellungsfreie, weitgehend trockene Montage erlaubt und konnte sofort statisch belastet werden. Auch die Wandelemente kamen von Mayr-Melnhof und der Kirchdorfer Fertigteilholding. Betonfertigteile waren auch nötig, die sind aber nicht sichtbar.

Gut voraus gedacht

Es ist ein heißer Sommertag und ich strample mit einem Drahtesel Richtung See. Auf der „Tour“  dorthin komme ich auch an weiteren Fahrradleih-Stationen für E-Bikes und Lastenräder vorbei. Aber wo sind die Autos? Die dürfen nur in Garagen parken und diese sind von jeder Wohnung weiter entfernt als die nächstgelegene Haltestelle von Bus, S- oder U-Bahn. Und da hat der schwedische Architekt Johannes Tovatt weit voraus gedacht und die Garagen als Hybridgebäude geplant. Später können sie geschossweise sogar zu Wohnungen umgebaut werden.

100 Mio. Euro ist den beiden Projektpartnern Siemens und Wiener Stadtwerke das Forschungsprojekt Aspern Smart City Research bisher schon wert. 150 Forscherinnen und Forscher aus den beteiligten Unternehmen des Austrian Institute of Technology und der TU Wien sind beteiligt.

Kletterwand, Halfpipe und 3 neue Leuchttürme

Schon jetzt gibt’s im Erdgeschoß der Garagen alles für den Alltag, Geschäfte und Kultureinrichtungen. Gesehen habe ich ihn nicht, auch keine „Immer wieder Österreich“-Rufe gehört. Den Fußballplatz am Dach der Seehub-Garage gibt’s aber. Und gleich daneben, wo die U2 als Hochbahn in die Seestadt fährt, gibt’s Spielplätze, Kletterwand, Halfpipe für Skater und BMX-Fahrer. Beklemmende, dunkle Passagen, wie in anderen Städten – Fehlanzeige.

Als ich mein Platzerl am Badestrand gefunden habe, komme ich mit Christian ins Gespräch, der sich gerade wieder auf‘s Fahrrad schwingt. „Ich wohne selbst nicht in der Seestadt, komme aber gern hierher, um ein, zwei Runden zu schwimmen“, erzählt er. „Leider sind die Bäume noch zu klein, als dass sie Schatten spenden.“ Stimmt, aber die wachsen ja noch. Wie auch die Seestadt selbst. Und dann sieht sie mich wieder. Denn ich bin schon neugierig auf die drei neuen Leuchttürme: das Seestadtkrokodil, Pier05 und die Lili am See.

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