Wie fühlen sich schwarze Österreicher?

... am Beispiel von Emmanuel Kamdem, geboren in Kamerun und Edith Abawe, in Ruanda

Emmanuel Kamdem entschied sich erst spät – vor ungefähr 14 Jahren – die Staatsbürgerschaft zu beantragen. „Ich selbst bin relativ schnell Österreicher geworden. Weil es hängt immer davon ab, in welcher Umgebung man sich befindet – welche Freunde, welcher Freundeskreis usw. Und ich habe einen relativ großen Freundeskreis und da fühlt man sich natürlich sehr wohl, wenn man gute Freunde hat, wo man sich ein bisschen behütet fühlt usw. Ich hatte keine Probleme, mich in der Welt zu bewegen. Natürlich habe ich ab und zu gedacht: Warum nicht? Aber wenn man hier Kinder hat, kommt das natürlich irgendwann zur Sprache. Den Antrag habe ich dann gemeinsam mit meinen Kindern gemacht. Ich werde alt und es ist gut, wenn sie hier auch als Österreicher leben.“

Was denkt der Beamte?

Der 54-jährige Emmanuel Kamdem ist beruflich viel unterwegs. „Da habe ich auf
einmal am Flughafen bemerkt, gebe ich dem Beamten meinen österreichischen Pass und überlege mir dann: Was denkt der Beamte, der mich gerade kontrolliert? Was spielt sich in seinem Kopf ab? Man stellt sich sehr viele Fragen.“

Diskriminierung ist der Alltag Im Gespräch kommt Emmanuel Kamdem auch auf Anfeindungen zu sprechen. „Generell gibt es mal hier, mal da Anfeindungen – manchmal sehr offen, manchmal sehr subtil. Nicht jeder, der dich angrinst, meint das auch so. Viele Leute spielen ein bisschen damit. Ich möchte keine paranoiden Gefühle raustragen, aber im Großen und Ganzen ist Rassismus sehr präsent. Diskriminierung ist der Alltag – und die Fragen dazu – manchmal sehr direkt. Seit wann bist du da? Wirst du immer da bleiben? Ist dir nicht zu kalt da? Warum lässt du die gute Sonne in Afrika und quälst dich da? Natürlich wirst du auch beschimpft – auf der Straße, in der Straßenbahn. Da braucht man nur die Blicke der Menschen zu beobachten.“

Auch in Afrika Rassismus

„Wie gesagt, ich möchte hier jetzt keine Hysterie ausbreiten. Aber wir haben ein sehr tiefes Rassismus-Problem in Österreich. Ich möchte nicht damit sagen, dass jeder zweite, dritte Österreicher, den man auf der Straße trifft, ein Rassist ist. Nein. Das ist nicht der Punkt. Es gibt einen sehr großen Teil an unbewusstem Rassismus. Der Rassismus ist auch keine österreichische Geschichte, sondern eine weltweite. Auch in Afrika gibt es Rassismus. Aber von Ort zu Ort manifestiert sich das immer ein bisschen anders. Er ist in den Köpfen, in den Büros, bei den Behörden, ist in den Familien verankert, in Vorurteilen, den Klischees, den Stereotypen.“

Genaue Vorstellungen von schwarzen Menschen

Im Verein „Chiala“ am Griesplatz, dort wo wir unser Gespräch führen, kommen tausende jährlich zu Beratungen. „Und ein Gutteil der Leute kommt auch wegen Diskriminierungen. Die Leute suchen eine Arbeit und bekommen manchmal die Arbeit nicht, weil sie schwarz sind, weil sie aus Afrika kommen oder bekommen eine Wohnung nicht, weil sie Afrikaner sind. Die Liste ist lang. Wir haben in Europa für schwarze Menschen genaue Vorstellungen, wie diese Leute sind. Das hat sich vor 500 Jahren entwickelt – durch Sklaverei, Kolonialismus, Neokolonialismus und Kapitalismus. Wenn man einen schwarzen Menschen sieht – okay, der ist so. Der ist ganz sicher so. Er verhält sich so. Das weiß man. Ohne jemals in Afrika gewesen zu sein.“

Natürlich freut Emmanuel Kamdem, dass „Black Live Matters“ jetzt einen Blick auf die schwarzen Menschen wirft. „Die Frage für mich ist aber: Hilft uns das? Ist das nicht peinlich? Die Politik spielt damit. Man muss korrigieren, was nicht gut läuft. Zwingen kann man niemand, aber man kann mit Bildung, mit Projekten etwas tun.“ Ein Ansatz seiner Meinung nach: „Man muss die Geschichte Afrikas in die Schulen bringen. Man muss die Geschichte erzählen. Sie muss in den Büchern stehen, zum Teil auch von Afrikanern geschrieben. Bildung kann da viel verändern – auch diesen weltweit anti-schwarzen Rassismus.“

Wo kommst du her?

Das ist eine der entscheidenden, meist diskriminierenden Fragen. „Es gibt ja Menschen in Österreich mit schwarzer Hautfarbe, 20, 30, 35 Jahre alt, die in Österreich geboren sind. Wenn man so eine Person fragt: Wo kommst du her? Dann sagt er: Aus Österreich. Und der andere: Nein, vorher. Was ist vorher? Er war ja vorher nirgends. Er war immer da. Und dann, wenn es keine gute Antwort aus der Sicht des Fragestellers ist, sagt er: Ja und deine Eltern? Ja, du hast gesagt ich und nicht meine Eltern. Ich bin Österreicher, ich bin da geboren.“

Emmanuel Kamdem macht aber klar, dass die Frage per se nicht diskriminierend ist. „Es wird mit der Zeit nur nervig. Aber es kommt auch auf den Hintergrund der Frage an. Wenn wer über Kamerun und Afrika mehr erfahren will, freue ich mich, wenn ich mit ihm diskutieren kann.“

Geschichte Afrikas erzählen

Das Bild vom „armen Afrika“, wo die Menschen nichts zum Essen haben, nicht zur Schule gehen – das gibt es, wie man aus Umfragen weiß. Es ist diese Assoziation von der Geschichte Afrikas von Armut und Ausbeutung. „In jedem Gespräch bist du dann ein Afrika-Experte. Das ist leider zu oft unser Alltag. Man hat kaum die Chance, die richtige Geschichte Afrikas zu erzählen. Von der Zeit, als Afrika eine große Macht war, welche Erfindungen Afrika im Laufe der Jahrtausende hervorgebracht hat.“

Mehrsprachigkeit

Zu Hause sprechen die Kamdems Deutsch, Französisch und Wolof, eine Senegalesische Sprache. Und klarerweise ist es – nicht zuletzt auch für die Kinder – ein großer Vorteil, mehrsprachig aufzuwachsen. „Manchmal hast du als Elternteil schon Angst, wenn dein kleines schwarzes Kind sagt: Ich gehe zum Supermarkt etwas einkaufen. Da sagt man sich schon: Ich hoffe, es passiert ihm nichts.“

Eltern machen sich Sorgen

Emmanuel Kamdem hat einen zehnjährigen Sohn, der ins Gymnasium geht. „Wir diskutieren ab und zu über Rassismus. Weil die Kinder sehen natürlich auch die Bilder in den Medien. Und sie haben natürlich sehr viele Fragen. Und natürlich reagieren sie sehr sensibel auf solche Sachen. Ich versuche jetzt, so ausgewogen wie möglich mit ihnen darüber zu sprechen. Das ist sehr schwierig. Weil auf der einen Seite möchte ich nicht, dass sie Angst haben. Sie sind mehr Österreicher als ich – sind da geboren. Und ich möchte nicht unbedingt ihnen eine Angst machen. Auf keinen Fall. Es ist wichtig, dass sie wissen, sie sind Österreicher, obwohl sie ein bisschen anders ausschauen. Wichtig ist, dass sie wissen, dass sie auch ihre Rechte haben – weil sie ja hier geboren sind und hier aufwachsen.“

„Wir Eltern haben vielleicht viel mehr Angst als die Kinder. Ihnen ist es – zum Glück – eigentlich wurscht.“

Edith Abawe: „Zum Selbstschutz verdrängt man Vieles“

Wir sind am Lendplatz in Graz verabredet – im Infocafé „palaver“ des Verein Frauenservice Graz, einem wichtigen Treff für Menschen unterschiedlicher Kultur. Edith Abawe ist für interkulturelle Sozialberatung zuständig und hat seit 2013 auch die Fachbereichsleitung des Infocafés inne.

„Ich habe in Ruanda den Bachelor für Sozialwissenschaften zu studieren begonnen und bin dann Ende 1996 nach Österreich gekommen“, erzählt sie. „Damals gab es Krieg und Genozid in Ruanda und weil ich Verwandte in Graz hatte, bin ich hierhergekommen.“ Als Studentin, wie sie betont, zumal sie nie als „Flüchtling“ deklariert war. „Aber ohne Krieg wäre ich natürlich nie nach Europa gekommen. Damals wusste ich auch gar nichts von Österreich, verwechselte man oft Austria mit Australien.“

Arbeit, Mühe, Leistung Auch Edith Abawe hat die österreichische Staatsbürgerschaft erst ziemlich spät beantragt, ist aber nach der offiziellen Verleihung schon sehr erleichtert gewesen. „Es ist mit Kosten verbunden, die ganze Bürokratie dauert, man muss die Sprache gut beherrschen, einen bestimmten Betrag im Monat verdienen, einen Test bestehen – alles ist mit Arbeit, Mühe und Leistung verbunden. Und daher bin ich glücklich und stolz, dass ich das erreicht habe.“ Zumal sie jetzt am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben teilhaben kann. „Ich bin ja sehr an Politik interessiert und das Recht zu wählen ist ein ganz wichtiger Punkt.“

In den 24 Jahren, die Edith Abawe hier in Österreich ist, hat auch sie viele Anfeindungen erlebt. „Ich kann gar nicht alles aufzählen – Beschimpfungen, Bedrohungen, alles Mögliche.“ Auch sexuelle Belästigung und sexistische Bemerkungen hat sie schon erlebt. „Zum eigenen Schutz vergisst und verdrängt man diese Dinge auch. Außer Situationen, wo man wirklich bedroht wird oder Angst hat – Gott sei Dank, nur ganz wenige Fälle. So wurde ich einmal fast überfahren – mit einem Auto, ganz gezielt. Das vergisst du natürlich nie, weil es so extrem ist.“

Insgesamt gäbe es in Österreich „Wellen“, wie es Edith Abawe ausdrückt: „Wenn es irgendwo einen bestimmten Vorfall gibt, werden die Anfeindungen mehr. Wie etwa bei der Flüchtlingswelle im Jahr 2015. Danach gab es eine unglaubliche Welle von rassistischen Vorfällen. Dann wird es wieder ein bisschen ruhiger, bis wieder irgendwo was passiert. Irgendwie müssten Menschen, die anders ausschauen, als Sündenböcke herhalten.“ Auch habe es eine Zeit gegeben, als allen schwarzen Menschen in Österreich „den Stempel Drogendealer hatten. In allen Zeitungen und überall wurde so getan, als ob es sonst keine Kriminalität gegeben hätte.“

Bildungslücke oder einfach Ignoranz?

Und natürlich ist auch sie mit Fragen konfrontiert, wie zum Beispiel: „Darf ich deine Haare anfassen?“ „Das höre ich sehr oft und Sie können sich vorstellen, dass es nervt, wenn eine wildfremde Person auf der Straße einen das fragt. Das ist einfach unpassend – unmöglich! Aber es kommt immer darauf an, wie man die Frage stellt und welche Beziehung man zueinander hat. Wenn mich das eine Arbeitskollegin fragt, ist das natürlich was anderes.“

Andere Fragen wiederum findet sie wiederum witzig. „Da fragen mich Leute zum Beispiel, ob wir in Afrika Insekten essen oder welche Sprache wir in Afrika sprechen. Afrikanisch? Solche Fragen finde ich manchmal amüsant und sie wundern mich auch ein bisschen. Ist das eine Bildungslücke oder einfach Ignoranz? Wenn eine Frage wirklich interessiert gestellt wird und nicht erniedrigend, finde ich es gut.

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