„Aber ich habe doch nichts getan!“
Viele EU-Bürger:innen, die in ihren Heimatländern die Lebenserhaltungskosten nicht decken können, nächtigen in den Notschlafstellen VinziNest und VinziSchutz. Viele von ihnen leben schon seit Generationen in Armut und ohne wirtschaftliche Perspektiven. Sie kommen in der Hoffnung nach Österreich, ihren Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen.
In Österreich scheitert die Arbeitssuche dieser Armutsmigrant:innen meist an Sprachkenntnissen, wodurch ihnen nur noch das Betteln bleibt. Das schwer verdiente Geld benötigen sie, um in der Heimat Brennholz, Medikamente, Strom- und Lebenserhaltungskosten zu bezahlen.
Laut Gesetz dürfen EU-Bürger:innen sich in einem Zeitraum von 180 Tagen nur für maximal 90 Tage in Österreich aufhalten. Immer häufiger kommt es auf der Straße zu Polizeikontrollen, bei denen die Aufenthaltsdauer überprüft wird und Beamt:innen die Kontrollierten dazu auffordern, Dokumente zu unterschreiben. Deren Inhalt verstehen nur die wenigsten. In den Notschlafstellen können die Mitarbeiter:innen nur versuchen, die Betroffenen über diese gesetzlichen Regelungen aufzuklären, und ihnen nahelegen, für ein paar Wochen abzureisen, wenn sich die maximale Aufenthaltsdauer dem Ende zuneigt. „Die meisten bei uns kommen aus dem slowakischen Hostice“, so Svjetlana Wisiak, Kommunikationsleiterin der VinziWerke. Man sei auch mit dem Bürgermeister dort in Kontakt und ersuche die Bewohner, sich den Aufenthalt eben auch bestätigen zu lassen.
Doch der Nachweis über Ein- und Ausreisen gestaltet sich als schwierig, da durch die europäische Freizügigkeit Grenzübertritte nicht registriert werden. Somit sei eine lückenlose Dokumentation, wann jemand in seinem Heimatland oder in Österreich war, entsprechend schwierig, erklärt Svjetlana Wisiak. Daher komme es immer wieder zu sogenannten „aufenthaltsbeendenden Maßnahmen“, im Zuge derer Menschen außer Landes gebracht werden. „Unsere Bewohner belastet dies natürlich stark.“ Sie können diese Gesetze oft schwer nachvollziehen und versuchen sich verzweifelt zu rechtfertigen: „Aber ich habe doch nichts getan! Ich bin ein anständiger Mensch.“
Eine slowakische Bewohnerin der Notschlafstelle VinziSchutz schildert ihre Erlebnisse, die heute noch aufwühlend für sie sind:
„Als mich am Vormittag zwei zivil gekleidete Polizisten mitgenommen haben, habe ich gar nichts verstanden. Ich hatte das Gefühl, ohnmächtig zu werden. Es war so demütigend, abgeführt zu werden! Ich habe doch nie etwas verbrochen, weder hier noch in meiner Heimat! Sie haben mich auf die Polizeiinspektion gebracht, ich habe kein Wort verstanden. Man hat mir ein Dokument zum Unterschreiben in meiner Muttersprache vorgelegt, das aber viel zu lang war, um es richtig durchlesen zu können. Da stand, dass ich das Gesetz des Landes verletzt hätte. Danach hat man mich ins Auto gesetzt und zur Notschlafstelle VinziSchutz gefahren. Ich durfte aber weder aussteigen noch mit jemandem sprechen. Lediglich die Polizeibeamt:innen sind reingegangen, um mein persönliches Gepäck abzuholen.
Ich musste einige Dinge in der Notschlafstelle zurücklassen, da im Polizeiauto Platz für nur einen Koffer war. Meine Mitbewohner:innen waren alle erschrocken darüber, was mit mir passiert. Danach fuhren sie mich nach Slowenien, wo ich kurz nach der Grenze ausgesetzt wurde. Es war ein furchtbares Gefühl! Ich hatte den ganzen Tag weder getrunken noch gegessen. Die Polizisten zeigten auf ein Kaffeehaus und sagten, dass ich dort essen könne, wenn ich Geld dafür hätte. Ich war verzweifelt, ohne Sprachkenntnisse in einem unbekannten Land, wo ich niemanden kannte! Meine Rettung war, dass ich mein Handy hatte und ich meine Familie verständigen konnte, die bewerkstelligte, dass ich abgeholt wurde. Ich war erschöpft und verängstigt. Ich weiß, dass die Polizisten nur ihre Arbeit gemacht haben, aber ich hatte das Gefühl, wie ein Hund ausgesetzt worden zu sein.“
Diese Geschichte ist leider kein Einzelfall. Immer wieder werden Menschen im Zuge von Außerlandesbringungen zum nächstgelegenen Grenzübergang gebracht und dort ausgesetzt. Für eine mittellose, ältere Person, die die Sprache nicht beherrscht, keine Ortskenntnisse hat und nicht weiß, wie sie von dort in ihr Heimatland gelangen kann, ein Horrorszenario. In anderen Fällen werden Geldstrafen auferlegt, wodurch das mühevoll Ersparte wieder zunichtegemacht wird. Sogar Einreiseverbote von bis zu fünf Jahren sind gesetzlich möglich. Für Armutsmigrant*innen bedeutet das oft den endgültigen existenziellen Ruin.
Die Frau aus unserem Beispiel hatte noch Glück im Unglück und konnte sich selbst aus ihrer Lage befreien. Aber wie wird es anderen gehen? Wir stehen hier vor einer fast unlösbaren Aufgabe. Ein Zustand, den wir dringend ändern müssen.
Diese Reportage von Edina Görög-Nagy ist im „Armendienst“, Jahrgang 39/4, im Oktober 2024 erschienen. Den „Armendienst“ kann man über Abo beziehen
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