"Keine von denen“
Insgesamt neun Listen stehen bei der Nationalratswahl am 29. September bundesweit am Stimmzettel. Die nötigen Unterstützungserklärungen für eine bundesweite Kandidatur auch auch der gebürtige Kärntner Fayad Mulla mit seiner Partei „Wandel“ erhalten – „Keine von denen“ wird auf dem Stimmzettel stehen. Der Parteichef will darin seinen Protest gegen die Parlamentsparteien zum Ausdruck bringen: Diese seien allesamt „unehrlich, korrupt und unfähig“ und ihre Abgeordneten nur am großzügigen Gehalt interessiert, steht auf der Website der Partei.
In der ORF-Pressestunde (15.9.) stellte sich der „Wandel“-Spitzenkandidat den Fragen von Andreas Koller („Salzburger Nachrichten“) und Claudia Dannhauser (ORF). Fayad Mulla, 1980 in Kärnten geboren, studierte in Wien Internationale Entwicklung, arbeitete für Caritas, SOS-Kinderdorf und als Entwicklungshelfer. Seit 2012 ist er Vorsitzender der Partei Wandel.
Andreas Koller im ORF: „(…) Eines Ihrer großen Themen ist Reichtum-Umverteilen, da sind Sie sehr radikal. Wobei in Ihrem Programm es irgendwie unterschiedliche Angaben gibt, je nachdem, ob man sich die 100 Punkte oder Ihr Parteiprogramm durchschaut. Da ist eine Vermögensobergrenze von einerseits 250 Millionen, dann 100 Millionen, in einem Fall sogar zehn Millionen, also es darf keiner mehr als zehn Millionen Euro besitzen, haben. (...) Wollen Sie die Leute enteignen?“
Fayad Mulla: „Also das ist ein 100-Schritte-Programm, kein Punkteprogramm. Das heißt, diese Punkte, Schritte steigern sich. Das heißt, im ersten Schritt wollen wir eine Vermögensobergrenze von hier und jetzt 250 Millionen Euro einführen. Wir glauben, dass die Leistung der einzelnen Menschen Grenzen hat, wir haben jetzt ein System, wo der Profit über allem steht und wir sagen, wir wollen hier eine Kehrtwende zu einer Gesellschaftsordnung und Wirtschaftsordnung, wo Mensch, Tier und Planet über Profiten stehen. Wir haben es jetzt so, dass Österreich ein Höchststeuerland ist. Arbeit wird so hoch besteuert, wie kaum irgendwo anders und Vermögen und leistungslose Einkommen de facto gern überhaupt gar nicht besteuert. Und das wollen wir grundlegend verändern, dass eben das Wohl von Mensch, Tier und Planet bedingungslos immer über den Profiten steht.“
Andreas Koller: „(...) Wenn Sie sagen, Vermögen über 250 Millionen Euro gehören enteignet, dann müssen ja Firmen zerschlagen werden, nicht, wenn die einen Wert von mehr als 250 Millionen Euro haben. Ich meine, das ist ja eine Mischung aus Venezuela und DDR, wenn Sie das so sagen.“
Und Fayad Mulla zur Interpretation von Andreas Koller: „Also, das ist natürlich ein Blödsinn. Natürlich sagen wir nicht Vermögenssteuern für Firmen, sondern für Personen. Die Firma muss überhaupt keine Vermögenssteuer zahlen, sondern die Menschen, die Firmen besitzen. Und das betrifft natürlich die ganzen Menschen, die jetzt EPU sind, kleine und mittlere Unternehmen, de facto nie. Wir reden hier von wirklich ganz großen Konzernen, die halt eben leider auch dafür verantwortlich sind, dass es in unserem System so ausschaut, dass wir stagnierende und teilweise sinkende Reallöhne haben, während die Profite aus unserer aller Arbeit zu immer weniger Menschen wandern. In Österreich besitzen die 400 reichsten Menschen ein Drittel des Finanzvermögens. Und da sagen wir ganz klar nein, das steht denen nicht zu. Es ist nicht so, dass 400 Menschen ein Drittel der Arbeitsleistung in Österreich liefern und hier müssen wir, weil unsere Politik sich leider so dem Neoliberalismus hingegeben hat, wieder was verändern. Das war anders und wir müssen das wieder dorthin zurückbringen, dass sich Arbeit lohnt, so wie das alle Parteien sagen, aber sie tun überhaupt gar nichts dafür.“
Die Partei „Wandel“ fordert eine 21-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Colette M. Schmidt fragt im STANDARD (1.9.24): „Wie soll sich das ausgehen?“ Mulla darauf: „Wir haben die Arbeitszeit seit 50 Jahren nicht reduziert. Man kann das nicht von heute auf morgen einführen. Sofort muss man auf 35 Stunden reduzieren, dann gehen wir den nächsten Schritt zu 32 Stunden. In einer Generation, also 30 Jahren, sind es 21.“
Fayad Mulla in der ORF-Pressestunde zu diesem Thema: Es sei ja nicht so, dass die Menschen z.B. im Gesundheitsbereich ihren Beruf nicht machen wollen. Aber die Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten seien nicht mehr erträglich, nicht familienfreundlich und überfordern die Menschen. Eine Arbeitszeitreduzierung werde dafür sorgen, dass erstens mehr Leute wieder in den Beruf kommen und zweitens gäbe es ja hunderttausende Arbeitslose in Österreich. Arbeitszeitreduzierung führe zu weniger Krankenständen, weniger Burnout und mehr Arbeitsleistung.
Andreas Koller: „Aber in der Pflege fehlen doch die Arbeitskräfte.“ Mulla: „Ja, aber genau aus diesen Gründen.“
Andreas Koller: „Pflegekräfte wachsen ja nicht am Baum, die können Sie ja nicht so schnell herbeizaubern. Wenn Sie die Arbeitszeit verkürzen, haben wir ein noch ein größeres Problem.“ Mullas Prognose: „Ganz im Gegenteil. Wir haben tausende Menschen, die in diesem Beruf ausgebildet sind“ und dann höchstwahrscheinlich wieder dort einsteigen.
Was sein Plan gegen die Teuerung sei, fragt der STANDARD. Mulla darauf: „Man muss die Übergewinne z. B. bei Energiekonzernen streichen. Wenn der Markt versagt, muss die Regierung eingreifen. Wir brauchen einen einheitlichen Mietzinsrichtsatz in ganz Österreich. Wohnen darf einfach nichts mehr sein, wo man Profite machen darf. Wir sagen, zehn Wohnimmobilien sind genug für Private.“
STANDARD: „Was macht man mit Immobilien derer, die mehr besitzen?“ Mulla: „Die werden in gesellschaftlichen Besitz gebracht.“ STANDARD: „Also enteignet?“ Mulla: „Nicht enteignet. Diese Dinge haben ihnen gar nie zugestanden. Wenn jemand tausende Wohnungen besitzt, ist es moralisch nicht mit rechten Dingen zugegangen. Da hat sich wer mit zu viel politischer Macht oder gut geschmierten Freunden zu viel genommen.“ STANDARD: „… oder hat gekauft, geerbt?“
Mulla: „Man kann in Österreich erben, ohne einen Euro Steuer dafür zu zahlen. Der Markt hat hier versagt und schafft nicht genug leistbaren Wohnraum. Ich ärgere mich, wenn ich lese: Der Trend geht zur Miniwohnung. Wohnraum ist nicht wie Jeans, die man haben will. Die Leute können sich einfach nicht mehr Wohnraum leisten. Es geht ein Zwang dort hin. Wir müssen Leerstand nutzbar machen.“ Auch bei Lebensmitteln müsse der Staat eingreifen. Es habe in Österreich früher Preisbindungen gegeben, bei Büchern, bei der Milch. Hier müsse der Staat wieder handeln, statt den Privatkonzernen ohnmächtig zuzusehen.
Nicht zuletzt angesichts der aktuellen Flutkatastrophe in Österreich kommt man in der ORF-Pressestunde auch auf das Thema Klima und Umwelt zu sprechen. Claudia Dannhauser: „Sie haben da sehr plakative Ideen, auch ein Privatjetverbote für eine Zeppelinfluggesellschaft. Was soll das bringen?“
Mulla: „Wir sehen es jetzt gerade, also wenn man beim Fenster herausschaut, wenn man sich die Nachrichten anschaut, wie jetzt gerade, also Österreich geht einfach unter ... Also diese Klimakatastrophe ist ja hier. Das heißt nicht, dass jedes Unwetter die Klimakatastrophe ist, sondern die Anhäufung dieser Extreme, von halt eben Hitze und danach halt eben diese Unwetter.“ Dies stelle die Bevölkerung vor katastrophale Zustände. Man müsse auch massiv eingreifen, weil in den letzten Jahren leider auch nicht genügend getan wurde, um das zu verhindern und um sich anzupassen.
Claudia Dannhauser: „Aber mit einem Privatjetverbot haben Sie jetzt keinen massiven Eingriff.“ Mulla: „Das natürlich nicht. Ich weiß auch nicht, warum Sie die Forderung herausgesucht haben.“ Claudia Dannhauser: „Weil es so drinnen steht.“ Mulla: „Na ja, aber angemessen darin ist z.B. dass Österreich 2030 energieautark ist, d.h. Energie regional produziert.“
Andreas Koller: „Sie wollen eine Zeppelinluftfahrtgesellschaft gründen? Ich meine, da muss man wirklich fragen, ist das ernst gemeint?“ Mulla: „Also zum einen ist es ernst gemeint, ja. Das ist ein wirklich erprobtes Mittel der Reise. Und wir reden da nicht von der Hindenburg, sondern wenn Sie sich aktuell Entwicklungen anschauen, auch für den Cargo-Verkehr, aber ja, ich weiß auch nicht, warum Sie wirklich diese Forderung hinaussuchen.“
Andreas Koller: „Ja, Entschuldigung, das ist ja, das ist ja das Programm, das wird man doch noch durchlesen dürfen.“ Mulla: „Das natürlich.“ Aber zu den großen Forderungen zähle eben, dass Österreich 2030 energieautark ist. „Wir brauchen regionale Energiegewinnung in Österreich, die sauber ist, die regionale Wertschöpfung schafft, wo sich die Bürgerinnen daran beteiligen können. Dass wir nicht weiter, so wie jetzt, abhängig vom Ausland sind, von Diktaturen, wo wir unsere fossilen Rohstoffe kaufen und die Menschen dann mit Energiepreisen in Krisenzeiten konfrontiert sind, die sie sich nicht leisten können.“
Claudia Dannhauser fragt zum Thema Bildung: „Laizismus, Weiterentwicklung, Abschaffung des Religionsunterrichts, Abschaffung des Konkordats und Heimunterricht und Privatschulen beenden. Also das ist also auch so, es soll praktisch der staatliche Sektor dann allübergreifend sein, also keine Möglichkeiten mehr, irgendetwas anderes zu machen, egal in welchem Bereich?“
Mulla: „Nein, nein, gar nicht. Wir haben auch in unserem Programm drinstehen, dass eben diese erfolgreichen alternativen Schulmodelle auch in das öffentliche Bildungssystem hineingeholt werden. Das mit dem Heimunterricht zum Beispiel, das ist in vielen Ländern absolut Standard. In Deutschland zum Beispiel darf man keinen Heimunterricht machen und das hat auch Sinn, dass eben die Bevölkerung da nicht so aufgesplittet wird und vor allem, dass man auch dafür sorgen kann, dass alle Kinder und Jugendlichen eine wirklich gute und transparente Ausbildung bekommen.“
Claudia Dannhauser: „Was sind erfolgreiche Schulmodelle? Kann man sich jetzt nichts vorstellen.“ Mulla: „Zum Beispiel aus dem Montessori-Schulbereich gibt es natürlich Dinge, die wichtig sind und die man auch in unser sehr, sehr starres und veraltetes Schulsystem aus der Zeit von Maria Theresia reinholen muss.“
Die Partei „Wandel“ will die Abschaffung von Patenten auf Medikamente bei gleichzeitiger Veröffentlichung aller Forschungsergebnisse. Claudia Dannhauser fragt in der ORF-Pressestunde dazu: „Aber Forschungen sind immens teuer, da wird es einfach keine Forschungen mehr geben, wie soll denn das dann gehen?“
Mulla: „Das ist natürlich in der Praxis nicht so, weil nämlich vor allem Staaten, Universitäten die gesamte, fast die gesamte Grundlagenforschung machen. Das heißt, den letzten Teil der Marktreife, das wird von Privatkonzernen übernommen, die dann den großen Reibach machen, aber die Grundlagenforschung, das ist das Zeitintensive, das ist das, was viel kostet und das zahlen wir jetzt eh schon alle. Es ist nur in der Praxis dann das Problem, dass unsere Dinge, die wir entwickeln und erforschen an Private übergeben werden und die dann wahnsinnig viel Geld machen.“
Claudia Dannhauser: „Also ich glaube, da widersprechen Ihnen sicher viele Pharmafirmen.“ Mulla: „Da bin ich mir absolut sicher, dass die da widersprechen werden.“
Claudia Dannhauser: „Weil die natürlich hunderte und Milliarden investieren in die Entwicklung von Medikamenten.“ Mulla: „Aber wirklich, das ist ein Bruchteil und ich bin mir sicher, dass alle Menschen in der Forschung und an Universitäten mir zustimmen werden.“
Alles in allem argumentiert Fayad Mulla sehr radikal, aber auch sehr klar und logisch, sodass zigtausende Österreicher bei seinen Argumenten nicken. In Österreich hat es bei Nationalratswahlen nur Frank Stronach mit seiner Bekanntheit als erfolgreicher Unternehmer aus dem Stand geschafft – mit einem völlig anderen Wahlprogramm – 5,7 Prozent der Stimmen zu erreichen. Fayad Mulla ist den Österreichern praktisch unbekannt und damit fehlt natürlich auch das Vertrauen ihm gegenüber. Eine Stimme für ihn könnte damit auch eine „verlorene“ sein. Für den großen Wandel scheint die Zeit daher noch nicht reif.
HIER gibt’s die ORF-Pressestunde zum Nachsehen/-hören (bis 15. Oktober)
HIER gibt’s das STANDARD-Interview zum Nachlesen
Sei der erste der kommentiert