Das reiche Katar

Mächtigster Kleinstaat der Welt

Früher gab es dort nur Armut und Wüste. Heute ist Katar reich an Geld und politischem Einfluss. Eine Sandrose ist keine Blume. Sie entsteht, wenn Wasser in der Wüste verdunstet. Dann verbinden sich Sand und Salzkristalle zu filigranen Gebilden, zu dünnen Scheiben, die aussehen wie Blätter, wie Blüten. Manchmal winzig klein, manchmal metergroß wachsen sie im erhitzten Boden. Ein Wunder, das nur die Natur vollbringt. Und der Emir von Katar.

Für mehr als 400 Millionen US-Dollar ließ er an der Uferpromenade der Hauptstadt Doha ein Gebäude bauen, das einer Sandrose gleicht – errichtet aus 539 Scheiben, die einander berühren, einander schneiden. So wie draußen in der Wüste, aber tausendfach vergrößert, geschaffen aus Beton, Stahl und Fiberglas strahlend weiß, statt sandbraun. Das Nationalmuseum von Katar. Im Inneren lernen die Besucher die Herrscher der Halbinsel kennen. Seit dem 19. Jahrhundert regiert die Familie Al-Thani das Emirat.

Perlen waren bis in die 30er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts das einzige Produkte das Katar der Welt zu bieten hatte. Ein unbedeutendes Wüstenland, das zu ewiger Armut verdammt schien, nachdem auf der anderen Seite der Erde ein japanischer Gemüsehändler die Zuchtperle entwickelt hatte.

Bis in dem Emirat etwas gefunden wurde, das die moderne Welt mit all ihren Autos, Schiffen, Flugzeugen und Heizölen viel dringender braucht als Perlen. Öl. Und bald darauf Gas.
Noch immer ist Katar ein winziges Wüstenland. Aber heute ist Katar auch eine Macht. Der mächtigste Kleinstaat der Welt. Unter dem persischen Golf verbirgt sich das größte Gasfeld der Erde. Zwei Drittel davon auf katarischem Hoheitsgebiet.

Den Verkauf des Rohstoffs – Gas und Öl – organisiert der Staatskonzern Katar Energy. Sein Chef Sad al-Kaabi ist gleichzeitig Energieminister von Katar. Die Zentrale des Unternehmens: semioval angeordnete Türme aus Glas und Stahl.

Es gibt etwas, das Katars Reichtum bedroht: Windkraft- und Solaranlagen, die in vielen Teilen der Welt errichtet werden. Es ist die grüne Energie, die theoretisch Volkswirtschaften wie China, die USA, Japan und Deutschland vom Gas befreien könnte. In den 1970er-Jahren veröffentlichten Zeitungen Karikaturen von Ölscheichs, die in europäischen Hauptstädten ihre Kamele festbanden. Das war die Zeit, als Katar und die Ölscheichs begannen, im Westen zu investieren. Ein falsches Bild, denn seit Jahrzehnten legen die Katarer ihr Geld vorausschauend und strategisch an. Die Qatar Investment Authority (QIA) ist jene Behörde, deren einzige Aufgabe darin besteht, die Einkünfte aus dem Gas-Geschäft zu verwalten. Derzeitiger Wert der Investition: 461 Milliarden Dollar. Die QIA ist maßgeblich beteiligt am Schweizer Unternehmen Glencore, dem größten Rohstoffhändler der Welt, an der Schweizer Großbank Credit Suisse, der britischen Bank Barclays und der Londoner Börse. Und an den deutschen Konzernen wie Volkswagen, der Deutschen Bank und Siemens.

Es gibt auf der Welt viele Staaten, die reich sind an Bodenschätzen wie Öl, Gas und Diamanten. Zum Beispiel Russland, Venezuela, Nigeria und Angola. Trotzdem sind dort viele Menschen arm. Die Katarer sind alle wohlhabend. Zur Hochzeit bekommt jedes katarische Paar ein Grundstück geschenkt und genug Kapital, um darauf ein Haus zu bauen. Jeder Katarer hat ein Recht auf einen Arbeitsplatz, die Arbeitslosenquote liegt bei null Prozent. Und wer dort sich niederlassen will als Unternehmen: Zumindest 51 Prozent bleiben im katarischen Besitz.

Salopp gesagt: Es gibt dort eine Art Kommunismus der vollen Taschen. Damit schafft man auch Ruhe und Ordnung in diesem Land, das keine Demokratie ist. Der Islam ist die Staatsreligion. Den Koran falsch zu interpretieren, ist per Gesetz verboten. Eine Frau gilt als ungehorsam, wenn sie ohne Erlaubnis des Ehemannes arbeitet oder reist. Homosexualität ist strafbar.

Die 300.000 Katarer sind eine Minderheit im eigenen Land. Dort leben auch 2,7 Millionen Ausländer. Manche sind hochbezahlte Fachkräfte, wie auch Karl Rose einer war. Die meisten aber erledigen Arbeiten, die sich für Katarer nicht lohnen. Sie stammen aus Indien, Pakistan, Bangladesch oder aus Ländern in Afrika oder dem Nahen Osten. In Katar schrubben sie Wohnungen, reinigen Straßen und Toiletten, kochen in Restaurants und Privathäusern. In den letzten Jahren haben sie extra für die Fußball-WM zahlreiche Stadien errichtet. Unzählige Berichte von westlichen Medien beschreiben unzumutbare Zustände und Arbeitsbedingungen für die „Ausländer“.

Katar hat Beziehungen zu den USA und den Taliban. Es investiert in deutsche Konzerne und finanziert Islamisten in aller Welt. Kann das auf Dauer funktionieren? Katar fungiert seit langem als Schutzpatron der Muslimbrüder, die weltweit als Terrororganisation gelten. Die Gemeinschaft hat Millionen Mitglieder und Sympathisanten. In unseren Ländern des Westens verbergen sie sich hinter Vereinen und Institutionen, sind aber in der Regel gesetzestreu. Die Bruderschaft ist traditionell geheim organisiert.

Die Amerikaner, die westlichen Partner, sind aus Afghanistan im Vorjahr überfallsartig abgezogen – geflüchtet. Der Grund war die Machtübernahme durch die Taliban. Nun hilft Katar beim Wiederaufbau der Infrastruktur. Grotesk: Die Regierung in Katar erlaubt den USA, den größten Luftwaffenstützpunkt der US-Armee im Nahen Osten zu betreiben. Von dort führten die USA die Kriege in Afghanistan gegen den Islamischen Staat in Syrien und im Irak. Der Emir erlaubte jedoch den Taliban, in Doha eine diplomatische Vertretung zu eröffnen. Als direkten Draht zu den Vertretern westlicher Staaten. Im Interesse von Katar liegt es deshalb, dieser Vermittler, Lieferant zu sein. Denn wer unverzichtbar ist, wird unangreifbar.

Nicht zufällig passt die Gründung des ersten arabischen Satellitencenters Al-Jazeera durch den katarischen Staat Mitte der 1990er-Jahre in dieses Bild. Plötzlich diskutieren auf Bildschirmen überall im Nahen Osten Israelis live mit Palästinensern und westliche Politiker wurden ebenso interviewt wie Terroristenführer. Ein offizielles No-go: Katar unterstützt die Organisationen in den Palästinensergebieten mit hunderten Millionen Dollar. Dabei passiert etwas Unglaubliches: Die Zahlungen finden im Einvernehmen mit der israelischen Regierung statt.

Einer der wichtigsten Akteure bei der WM ist Nasser al-Khelaifi. Bis vor zehn Jahren war er der Fußball-Welt unbekannt. Dann übernahm der katarische Sport-Investment-Fonds QSI den Fußballklub Paris Saint Germain (PSG). Al-Khelaifi ist der neue Präsident des Vereins. Er gilt als Vertrauter des Emirs. Mit dem Geld aus Katar wurden Superstars wie der Brasilianer Neymar, der Franzose Kylian Mbappé und der Argentinier Lionel Messi als Aushängeschilder geholt. Für irre Transfersummen.

Egal, welches Land die WM gewinnt, die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass ein Spieler von PSG in der Mannschaft des Siegers steht.

480 Millionen Euro hat Katar für die Übertragungsrechte bezahlt. Soviel Geld wie nie zuvor erhielt die FIFA von einem Veranstalter. Sobald der Anpfiff erfolgt ist – kein noch so großer Korruptionsskandal kann der Begeisterung für den Fußball etwas anhaben. Er ist immun dagegen. Eine neuzeitliche Version von „Brot und Spiele“ im alten Rom.

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