Kriegsbrüder müssen nun Feinde sein

Weil Putin es befiehlt. Der Grazer Roland Stix, 91, erinnert sich.

Bis in die frühen 1990er-Jahre haben sie gemeinsam, damals in der Sowjetunion vereint, jährlich mit einem Feiertag den Sieg im großen vaterländischen Krieg gegen Nazi-Deutschland gefeiert und der Millionen Opfer gedacht. Ukrainer und Russen, die auf den Schlachtfeldern des von Hitler-Deutschland entfachten Angriffskrieges Millionen Opfer verzeichneten. Gemeinsam haben sie dem faschistischen Deutschland ein Ende bereitet. „Und heute sollen die Ukrainer sogar Faschisten sein?“, schüttelt Roland Stix ungläubig den Kopf.

Es war wenige Wochen vor Kriegsende. Der 13-Jährige lebte damals mit seinen Eltern und der Familie in der Stadt Hotzenplotz in Mährisch-Schlesien. Diese heißt heute Osoblaha und liegt heute in der Tschechischen Republik. Roland Stix, pensionierter Lehrer, lebt in Graz. Obwohl schon 91 schildert er seine Kriegserlebnisse und Erinnerungen detailgenau.

„Die Kämpfe um Hotzenplotz zählten zu jenen, die in den letzten Wehrmachtsberichten vorkamen“, so Stix. „Die Russen griffen fünf Mal die Stadt an, mit Panzerunterstützung. Die Deutschen verteidigten die Stadt, indem sie praktisch unterirdisch in den Kellern einen Verteidigungsring aufbauten und damit in den engen Gassen es für die russische Armee kein Weiterkommen gab. Die russische Infanterie wurde von mehr als 20 Panzern unterstützt, die die Stadt unter Feuer nahmen. Um die Panzer auszuschalten, setzten die deutschen Verteidiger Flak-Geschütze ein, die ja sonst für die Fliegerabwehr gedacht waren. Mit diesen schossen sie die Panzer praktisch ab, deren Besatzungen darin verbrannten.“

„Als die russische Infanterie in den engen Gassen von Hotzenplotz sich Haus für Haus vorkämpfte, setzten die deutschen Verteidiger Flammenwerfer ein, die für die Angreifer fürchterliche Folgen hatten. Sie verbrannten. Die lagen dann noch Wochen herum“, so Stix. „Als der Krieg dann zu Ende war, sind wir als Kinder in die Panzer hinein und haben uns die optischen Geräte geholt. Wie sich herausgestellt hat, waren das alle Ukrainer – junge Ukrainer, die von der russischen Armee dort eingesetzt worden waren. Junge Kerle.“

„Nach Kriegsende besetzten Tschechen die Stadt Hotzenplotz und befahlen, die verbrannten ukrainischen Soldaten in Kisten zu legen. Wir Kinder mussten dabei helfen. Die Kisten legten wir auf Pferdefuhrwerke und diese wurden von den Sowjets später nach Russland überstellt.“

1946 wurden Roland Stix und seine Familie aus Hotzenplotz ausgesiedelt. „Wir sind dann über Prag nach Furth im Wald in Deutschland überstellt worden. Dort wurden wir entlaust und desinfiziert.“ Insgesamt waren es 15 Millionen Menschen, die ihre Heimat verloren. „Ich bin dann als Einziger nach Österreich, machte mit 19 Jahren eine Matura und hatte dann die Chance, 1960 nach einem Abiturientenkurs in Leoben-Leitendorf als Lehrer eine Anstellung zu bekommen. Später kam ich dann nach Graz.“

„Wenn ich heute praktisch täglich vom Ukraine-Krieg höre oder darüber lese, dann kommen mir immer wieder diese Bilder von damals in den Kopf.“

Kommentare und Antworten

×

Name ist erforderlich!

Geben Sie einen gültigen Namen ein

Gültige E-Mail ist erforderlich!

Gib eine gültige E-Mail Adresse ein

Kommentar ist erforderlich!

* Diese Felder sind erforderlich.

Sei der erste der kommentiert