Nobelpreis und Glückstag für „Mr. Beam“

Was dem österreichischen Physiker gelang, war der britischen Forscherin Rosalind Franklin nicht vergönnt. Drei Männer betrügen sie um den Lohn ihrer Arbeit – und erhalten den Nobelpreis.

Im Dezember wird der österreichische Physiker Anton Zeilinger aus den Händen des schwedischen Königs den Nobelpreis für seine Forschungen zur Quantenphysik erhalten. Zurecht. Das ist nicht bei allen Preisträgern so. Eine der wohl tragischsten Fehlentscheidungen betraf vor 60 Jahren die britische Forscherin Rosalind Franklin. James Watson und Francis Crick erhielten am 10. Dezember 1962 gemeinsam mit Maurice Wilkins die prestigeträchtigste Auszeichnung für Wissenschafter – die Erforschung der Struktur unseres Lebens, der DNA.

In seiner Dankesrede lässt James Watson das wichtigste Detail unerwähnt: die Arbeit von Rosalind Franklin. Sie war bereits fünf Jahre vorher an Krebs gestorben und konnte sich damit nicht mehr dagegen wehren.
Bereits mit 17 Jahren schaffte Rosalind Franklin als Ausnahme-Talent in Mathematik und Physik die Aufnahmeprüfung an der Universität Cambridge. Sie war eine der wenigen weiblichen Studenten zu dieser Zeit und engagierte sich auch als Aktivistin für die zivile Verteidigung gegen das Hitler-Deutschland. Nach dem Krieg forschte sie vier Jahre in einem Labor in Paris. Das Leben dort genoss sie.

Dann kehrte sie zurück an das Kings-College in London. Dort arbeitete sie in einer Abteilung mit Maurice Wilkins, einem der drei späteren Nobelpreisträger. Die beiden sind von Beginn an nicht miteinander klar gekommen. Wilkins war Frauen gegenüber verschlossen, schüchtern. Rosalind Franklin dagegen war selbstbewusst und zielstrebig. Eines morgens versammelt sich das ganze Laborteam. Wilkins arbeitet an DNA-Proben, kommt aber nicht richtig voran. Franklin schaut zu, tritt vor und sagt, er mache da etwas falsch. Sie schlägt vor, wie es besser geht. Und hat Recht. Wilkins fühlt sich vor den Kollegen gedemütigt und vorgeführt.

Rosalind Franklin arbeitet weiter in ihrem kleinen Team an der Strukturanalyse der DNA. Die bis dahin getätigten Fotoaufnahmen von DNA-Segmenten sind schlecht, verschwommen und unklar. Sie entdeckt, dass sich die DNA-Moleküle spannen und entspannen – je nach Feuchtigkeitsgehalt. Franklin gelingt es, die Feuchtigkeit der DNA so zu regulieren, dass ihre Fasern ununterbrochen im Entspannungsmodus verharren. Es ist eine ihrer großen Leistungen. Jetzt kann sie diese fotografieren – so gut und klar, wie die Fasern noch nie fotografiert wurden. Sie trägt ihr Ergebnis bei einer Vorlesung vor. Unter den Zuhörern ist auch James Watson. Wilkins hat ihn eingeladen, aus Cambridge nach London zu kommen. Sie kennen einander von einer Tagung in Neapel.

James Watson stammt aus Chicago. Er ist Anfang 20 und forscht zusammen mit dem um 12 Jahre älteren Francis Crick in Cambridge ebenfalls an der DNA. Die beiden haben das Werk des österreichischen Quantenphysikers und Nobelpreisträgers Erwin Schrödinger gelesen und sind seitdem besessen von der Genetik. Ihr Ziel ist es, als Erste die Struktur der DNA zu entschlüsseln. Hitler-Gegner Schrödinger schreibt 1944 in seinem Buch „What is Life“: Es muss ein Gen geben, glaubt er, das aus irgendeinem außergewöhnlichen Molekül besteht. So groß, dass es all die Informationsmengen über unser Leben in sich tragen kann. Aber auch so klein, so wahnsinnig klein, dass es in eine Zelle passt. Es müsse ganz regelmäßig sein, um die Informationen kopieren und weitergeben zu können. Und ganz unregelmäßig, um die unfassbare Vielfalt der Gene widerzuspiegeln.

James Watson lernt Rosalind Franklin durch Wilkins kennen. Dieser lädt ihn ins Kings-College zu einem Vortrag von ihr ein. Er versteht wenig, weil er kaum Ahnung von Kristallografie und Röntgenbeugung hat. Nach Franklins Vortrag im November 1951 besucht James Watson immer wieder das Kings-College. Er trifft sich mit seinem Freund Wilkins und spioniert gleichsam über ihn, wie weit Rosalind Franklin mit ihrer Forschung an der DNA war. Das Männer-Trio Watson, Wilkins und Crick lobten ihre Kollegin. Ein Freund von ihr aus dieser Zeit: Die meiste Zeit ging es ihr wegen dieser Typen miserabel. Mehr noch. Als sie von einer Vorlesung zurück ins Büro kam, sah sie, wie Watson sich durch ihre Unterlagen wühlte. Sie habe Watson raus geschmissen, erzählt der Freund.

Auf Grundlage von Franklins Forschungsergebnissen bauen Watson und Crick Ende November 1951 ein erstes simples Modell der DNA. Es ist aus Pappe, sie haben die einzelnen Bausteine wie eine Art Lego zusammengestellt. Ein DNA-Molekül – das weiß man heute – besteht aus zwei Strängen. Die zwei Stränge umlaufen schraubenförmig. Das ist die viel gerühmte Doppelhelix. Watson und Crick wissen damals nicht, ob ein DNA-Molekül zwei, drei oder vier Stränge besitzt. Sie glauben: Es ist eine Tripelhelix, also drei Stränge, mit Phosphaten an der Innenseite. Die beiden zeigen das den Kollegen vom Kings-College. Als Watson und Crick es enthüllen, erkennt Franklin sofort: Das Modell ist falsch.

Bei der Rückkehr nach London wendet sich Rosalind Franklin wieder ihrer Arbeit zu. Aus den Unterlagen, die im Archiv der Universität lagern, geht hervor, dass sie in den kommenden Monaten danach zur Lösung der Entschlüsselung der DNA kommt. In dieser Zeit entsteht auch das später berühmte Foto 51. Es ist schärfer als jedes Bild zuvor und jetzt scheint klar: Die Struktur der DNA ist eine Doppelhelix.

Die Streitereien am Kings-College mit Wilkins und Co. hält sie nicht mehr aus. Sie verlässt es. Zuvor aber wertet sie all ihre Röntgenaufnahmen von Foto 51 aus und die DNA-Struktur steht somit. Im Winter 1952 begutachtet eine externe Forschungskommission ihre Arbeit an der Biophysik-Abteilung des Kings-College. Franklin fasst ihre vorläufigen Resultate in einem Bericht zusammen. Dieser ist aber nur für die Mitglieder der Kommission gedacht, nicht für andere Forscher – schon gar nicht für Konkurrenten. Doch ein Kommissionsmitglied aus Cambridge gibt Franklins Bericht an Watson und Crick weiter.

Es kommt in den folgenden Monaten noch immer zu Streitigkeiten zwischen den Forschern. Und dann der entscheidende Verrat: Kings-College-Mann Wilkins entschließt sich, dem Cambridge-Mann Watson das wertvollste zu zeigen, was seine Uni gerade besitzt. Aus einer Schublade holt er Franklins Aufnahme Foto 51. Ihr Doktorat hat sie nach Franklins Ankündigung, das Kings-College zu verlassen, zu einem künftigen Chef Wilkins gegeben. Franklin wusste nichts davon. Es sollte der wichtigste Augenblick im Forscherleben von James Watson werden.

Im Frühjahr 1953 verlässt Rosalind Franklin das Kings-College. In nur zwei Jahren war es ihr beinahe gelungen, auf einem Forschungsgebiet, das ihr bis dahin völlig fremd war, eine der größten Fragen der Wissenschaft zu beantworten. Watson und Crick bauten im März auf Grundlage von Franklins Foto 51 und ihren Messdaten ein neues Modell der DNA. Diesmal ist es korrekt. Im April 1953 veröffentlichen sie in der Fachzeitschrift „Nature“ ihren Artikel über die Entschlüsselung der Erbinformation. Sie geben an, sie hätten bei ihrer Entdeckung keinerlei Kenntnis von Franklins zeitgleich veröffentlichten Forschungsergebnissen gehabt. Der Artikel wird die Wissenschaft für immer verändern.

Am 16. April 1958 stirbt Rosalind Franklin in einem Krankenhaus in London an Krebs. Sie ist 37 Jahre alt. 1962 erhalten Watson, Wilkins und Crick ihren Nobelpreis. Zunächst verschweigen sie Franklins Anteile an allem. Erst als James Watson das Buch „Die Doppelhelix“ veröffentlicht, erfährt die Welt darin von Rosalind Franklin und ihrem Foto 51. Nachdem sie das Manuskript gelesen haben, versuchen Francis Crick und Maurice Wilkins noch, die Veröffentlichung zu verhindern. Vergebens. Das Buch erscheint.

Aus heutiger Sicht würde man einen Aufschrei aus der Wissenschaftsgemeinschaft nach so einem Betrug erwarten. Damals, Ende der 1960er-Jahre, geschieht nichts davon. Als sei das Verhalten der drei Wissenschafter das Normalste auf der Welt, stürmt das Buch die Bestseller-Listen. James Watson wird von den dreien am tiefsten sinken. Seine Nobelpreismedaille wird er wegen Geldproblemen für 3,9 Millionen Euro an den russischen Oligarchen und Putin-Freund Alischer Usmanow versteigern.

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