Wissenschaftliche Betrachtung „Die Steiermärkische Landesbibliothek in der NS-Zeit“

Fachwissen, Ausdauer und Fingerspitzengefühl sind notwendig, wenn es um die Aufarbeitung eines der emotionsbeladensten Themen der Geschichte unseres Landes geht: die NS-Zeit. Es ist ernüchternd, aber über die älteste und größte österreichische Landesbibliothek lagen bisher nur wenige ausführliche wissenschaftliche Publikationen zur Geschichte des Hauses vor. Über die Geschichte der Steiermärkischen Landesbibliothek in der NS-Zeit legt die Bibliothek aktuell nun eine ausführliche Publikation über diesen Zeitraum vor.
Seit heute liegt eine umfassende wissenschaftliche Betrachtung der Geschichte der Steiermärkischen Landesbibliothek in der NS-Zeit vor. Sie wurde heute Vormittag als Band 46 der wissenschaftlichen Reihe „Veröffentlichungen der Steiermärkischen Landesbibliothek“ durch Landeshauptmann Christopher Drexler in den Räumen der Landesbibliothek präsentiert.

Anhand bislang nicht herangezogener Quellen und teilweise unbekannten Archivmaterials zeichnet die Autorin Katharina Bergmann-Pfleger in ihrer Studie ein detailliertes Bild der Geschehnisse in und rund um die Steiermärkische Landesbibliothek im Betrachtungszeitraum 1933 bis 1950 nach. Dabei fördert die Spurensuche mehr Kontinuitäten denn Brüche zutage: Sich schnell und widerspruchslos an die neue Herrschaftsform anpassend, verhielt sich die steirische Institution bis zum Zusammenbruch des Dritten Reichs durchwegs vorschriftsgemäß und regimekonform, während es das handelnde Personal - allen voran der Bibliotheksdirektor Julius Franz Schütz - geschickt vermochte, etwa durch persönliche Verbindungen zu maßgeblichen politischen Verantwortlichen des Gaus Steiermark Vorteile für die Bibliothek zu erwirken.
So gelang es unter anderem, den Bestand mittels „Raubbüchern" aus stiftischem Besitz fast zu verdoppeln, im Falle der Handschriften fast zu verachtfachen. Neben der „proaktiven" Erwerbungs- und der auch nach 1945 weitgehend von Konstanz geprägten Personalpolitik beleuchtet die Publikation insbesondere das Alltagsgeschehen an der Bibliothek, das von den Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges wie Bergungs- oder Luftschutzmaßnahmen und letztlich vom engagierten Einsatz der Bibliothekare und Bibliothekarinnen zur Aufrechterhaltung des Entlehnbetriebs durch alle Wirren dieser Zeit geprägt war.

Die durch „proaktive" Erwerbungspolitik vermehrten Bestände vornehmlich aus Klöstern wurden bis 1948 an die entsprechenden Institutionen restituiert, so, dass zu vermuten ist, dass heute kein „Raubgut" mehr an der Landesbibliothek vorhanden ist. Um darüber mit mehr Sicherheit Auskunft geben zu können als es bisher der Fall ist, wird der in Frage kommende Bestand von etwa 120.000 Bänden aus dieser Zeit einer umfassenden Provenienzforschung zu unterziehen sein.
Die Gesamtkosten für das Forschungsprojekt (inklusive Publikation) betrugen 100.000 Euro, wovon eine Hälfte von der Landesbibliothek getragen wurde, die zweite Hälfte sich aus Förderungen durch die Historische Landeskommission für Steiermark, den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus und des Zukunftsfonds der Republik Österreich sowie Inkind-Leistungen des Ludwig Boltzmann Institutes und der Landesbibliothek zusammensetzt.
Die Publikation ist in der Steiermärkischen Landesbibliothek und im gut sortierten Buchhandel erhältlich (Preis: 29 Euro).
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