Kein „besserer Zeitpunkt“ für die Premiere: Zur Würdigung und in Erinnerung an den verstorbenen Politiker und kritischen Geist Gerhard Hirschmann haben das Land Steiermark und die Stadt Graz diesen Preis ins Leben gerufen. Vor wenigen Tagen wurde dieser in der Aula der Alten Universität erstmalig von Landesrat Christopher Drexler im Beisein von Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer verliehen. Die ehemalige Korruptionsstaatsanwältin Christina Jilek ist die erste Preisträgerin. Sie hat ihren Job zurückgelegt. Vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss im Parlament berichtete sie als Zeugin über politische Interventionen und Behinderungen innerhalb der Justiz durch ÖVP-nahes Umfeld bei der Aufklärung. Auslöser waren Hausdurchsuchungen und die entdeckten Chats auf beschlagnahmten Mobiltelefonen. Christina Jilek ließ sich nach Graz ans Bezirksgericht versetzen, wo sie heute arbeitet. Sie ist Mitinitiatorin des laufenden Anti-Korruptions-Volksbegehrens.
Pikant, bizarr, grotesk, passend: Alle Zuschreibungen der Begleitmusik und des Rahmens für das atmosphärische Umfeld bei der Preisverleihung stimmen. Es sind keine „falschen Vorwürfe“, ein oft zitiertes Wort von Sebastian Kurz und Fürstreitern der letzten Wochen. Nur etwas mehr als eine Woche vor der Preisverleihung in der Aula der Alten Universität in Graz musste ja bekanntlich Kanzler Sebastian Kurz zurücktreten – aufgrund der Ermittlungen der Korruptionsstaatsanwaltschaft. Er ist in zwei Verfahren Beschuldigter.
Aber wer war Gerhard Hirschmann, der auf einer Zugfahrt von Wien nach Graz am 27. September 2019, 68-jährig, an Herzversagen verstarb? Gerhard Hirschmann hätte im Jahre 1995 nach der Wahlniederlage von Landeshauptmann Josef Krainer und dem damit verbundenen Verlust der absoluten ÖVP-Mehrheit im Lande (erstmals!) diesem als Landeshauptmann der steirischen ÖVP folgen sollen. Völlig überraschend lehnte er aus privaten Gründen (Scheidung stand bevor) diesen Karrieresprung ab und schlug in der entscheidenden Sitzung des ÖVP-Parteivorstands Waltraud Klasnic vor. Hirschmann galt damals als Kronprinz von Josef Krainer, war in der steirischen ÖVP einer der Strategen, Visionäre und als geschäftsführender Parteiobmann auch für das „Modell Steiermark“ verantwortlich.
Klasnic wurde daher 1995 zur Landeshauptfrau gewählt. Hirschmann trat in die Landesregierung ein, aus der er 2003 freiwillig ausschied und als Vorstandsdirektor in die Energie Steiermark wechselte. Der so genannte „Estag- und Herberstein-Skandal“, den Gerhard Hirschmann ein Jahr später anprangerte, führte zum totalen Bruch mit Waltraud Klasnic und „seiner ÖVP“. Klasnic erzwang Ende 2004 sein Ausscheiden aus der Energie Steiermark.
Bei der Landtagswahl am 2. Oktober 2005 trat er daraufhin zum Entsetzen der steirischen ÖVP mit einer eigenen „Liste Hirschmann“ an, schaffte aber den Sprung in den Landtag nicht. Doch Waltraud Klasnic, fünf Jahre vorher bei der Landtagswahl noch als triumphale Siegerin gefeiert, mit Hirschmann als Strategen, erlitt ein Wahldebakel und die ÖVP war erstmals nur noch zweitstärkste politische Kraft in der Steiermark. Mit Franz Voves gab es zum ersten Mal bis 2015 dann einen SPÖ-Landeshauptmann in der Steiermark.
Politische Schlammschlacht
In dieser unerwarteten Notlage machte die steirische ÖVP den aus dem ÖAAB kommenden Hermann Schützenhöfer zu ihrem Parteiobmann. Dieser wiederum machte seinen Gefolgsmann aus dem ÖAAB Christopher Drexler zum Klubobmann im Landtag. Gerhard Hirschmann hatte die politische Karriere der beiden in seiner Zeit als Parteiobmann der steirischen ÖVP stets gefördert. Zwischen der Voves-SPÖ und der Schützenhöfer-ÖVP kam es in den folgenden fünf Jahren zu einer noch nie dagewesenen politischen Schlammschlacht.
Unverzichtbarer Teilnehmer
Völlig unbemerkt davon kam es im Hintergrund wieder zu einem verstärkten Kontakt und Gedankenaustausch zwischen Gerhard Hirschmann und dem neuen ÖVP-Führungsduo Schützenhöfer/Drexler. Natürlich inoffiziell, denn in ÖVP-Kreisen hatte man Hirschmann den Verrat an der ÖVP nicht verziehen – da und dort bis heute. Doch in vielen Gesprächsrunden mit Schützenhöfer, Drexler und auch dem früheren Kleine-Zeitung-Chefredakteur Erwin Zankl in der Grazer Burg erwies sich Hirschmann als unverzichtbarer Teilnehmer – bis zu seinem Tod. Noch eine Woche davor hatte Hirschmann in einem zweiseitigen Interview in der „Steirerkrone“ Schützenhöfers Entscheidung, die Landtagswahlen auf November 2019 vorzuverlegen, als richtig und wichtig für das Land verteidigt.
Schützenhöfer bei der Preisverleihung: „Gerhard Hirschmann war ein großer intellektueller Denker und Visionär. Für mich war er ein treuer, politischer Wegbegleiter – trotz aller Verwerfungen.“ Auffällig: Bei ähnlichen Anlässen (z.B. Begräbnis) hatte Schützenhöfer immer von einem „Lebensfreund“ gesprochen.
"Der Rotzbua wird Partei in Luft sprengen"
Klarerweise sorgte auch die Person und der Aufstieg von Sebastian Kurz in der ÖVP in den internen Gesprächsrunden für Debatten und Analysen. Als sich dann abzeichnete, dass Kurz Reinhold Mitterlehner als Parteiobmann ablösen wollte, machte der „parteierfahrene“ Gerhard Hirschmann schon 2016/17 – auch gegenüber seinen Freunden in der Burg und im Land – kein Hehl aus seiner Ablehnung, brachte diese wiederholt vehement zum Ausdruck. Seine deftigste Formulierung: „Der Rotzbua wird die Partei und uns in die Luft sprengen!“ Und dabei blieb er, ließ sich auch durch den Aufstieg und die Erfolge von Sebastian Kurz nicht vom Gegenteil überzeugen, wie das andere taten.
"... in einem Atemzug mit Bruno Kreisky und Leopold Figl ..."
Hermann Schützenhöfer betonte in den letzten Monaten wiederholt seine Sympathien und sein Eintreten für Sebastian Kurz, es gab nur Lob. „Wir lassen uns unseren Kanzler nicht herausschießen“, so Schützenhöfer in der TV-Pressestunde. Und Christopher Drexler, der die Laudatio bei der Preisverleihung für Hirschmann hielt, in einem Interview mit dem Magazin „Weekend“, wenige Tage vor dem Rücktritt von Sebastian Kurz (Zitat): „Er fasziniert mich in seiner Strukturiertheit und Entschlossenheit. Ich glaube, dass er entlang der Kanzlerpersönlichkeiten in einem Atemzug mit Bruno Kreisky und Leopold Figl zu nennen sein wird.“ Ein offenes Bekenntnis, aber aus heutiger Sicht bereits eine Fehleinschätzung und ein Tritt ins Fettnäpfchen.
Drexler in seiner diplomatisch und geschickt angelegten Laudatio über Christina Jilek: „Kritisches Denken gilt als unbequem und unabdingbar. Wer es will, muss diese Ambivalenz, muss sich zu beiden Dingen bekennen. Sie hat ihr kritisches Denken dokumentiert, indem sie mit ihrem Scheitern auch ihren Widerstand artikuliert hat.“
Ihren Teil dazu beigetragen hat die sechsköpfige Jury, deren Entscheidung Hermann Schützenhöfer und Christopher Drexler mannhaft hingenommen haben und versucht haben, das Beste aus der Situation zu machen. „Die Jury hat keine bequeme, sondern eine mutige Entscheidung getroffen“, so Schützenhöfer darauf anspielend. Zitate daraus: (…) Christina Jilek ist Mitinitiatorin des Anti-Korruptions-Volksbegehrens. Sie war als Korruptionsstaatsanwältin maßgeblich mit den Ermittlungen und Folgen der Ibiza-Affäre befasst und ist offensichtlich in den Widerstand gegen Versuche der Einflussnahme und Unterdrückung getreten (…) Christina Jilek hat als Beamtin und Staatsanwältin ihren Auftrag ernst genommen und hat den Anlass ihres Scheiterns zum Anlass genommen, daraus einen neuen Auftrag für die „Res Publica“ abzuleiten (…) Sie hat es abgelehnt, unter widrigen Bedingungen ihren Auftrag nur teilweise zu erfüllen und daraus persönlich Konsequenzen gezogen, um sich damit der Ohnmacht einer Mittäterschaft zu entziehen (…) (Postenschacher, Freunderlwirtschaft, politische Intervention und mangelnde Transparenz) Sie trägt dazu bei, dass der Schleier in einer Parallelwelt gelüftet wird (…)
„Gerhard war süchtig nach dem Widerspruch, war mit seinen Ideen und was er gemacht hat, seiner Zeit voraus“, so auch eine Charakter-Beschreibung des Visionärs und Querdenkers von Schützenhöfer.
Und so gesehen hätte Hirschmann sicher über die Preisverleihung geschmunzelt.
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