Wenn die Heimat global wird

Einwanderer haben unsere Gesellschaft längst verändert – auch in der Steiermark. Am Beispiel von Tanja und Igur

Nur haben wir es noch nicht begriffen oder wollen es nicht begreifen. Nennen wir sie Tanja und Igur. Sie gehen in Graz zur Schule, haben einen migrantischen Hintergrund, wie man das heute sagt. In ihrem Stadtteil in Gries und Lend erstreckt sich das Netzwerk der Verwandschaftsbeziehungen über die Nationalitäten vieler Schüler aus diesen Bezirken. In ihren eigenen Klassen und auch ihrem Viertel haben Tanja und Igur viel Berührung mit Zuwanderern. Das Zuwanderungsgesetz zielt auf „Integration“, auf „Anpassung“. Doch die Wirklichkeit zeigt: Das Ideal einer homogenen Nation ist längst Vergangenheit.

Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell leben die beiden oder auch alle anderen bereits in einer global vernetzten Welt. Trennlinien zwischen „den Ausländern“ und „den Inländern“ zu ziehen, wird immer schwieriger.

In der Debatte über Einwanderung taucht immer wieder die Furcht vor „Parallelgesellschaften“ auf. Aber Migranten leben uns vor, wie man mit vielfältigen Kultureinflüssen kreativ umgehen kann. Tanjas und Igurs Lebenswelt illustriert das, was Kultur-Anthropologen die „Transnationalisierung“ unserer Gesellschaft nennen. In Lebenswelten wie diese strömen kulturelle Einflüsse aus den unterschiedlichsten Weltreligionen ein. Unter spezifischen, lokalen Bedingungen wie hier in Graz oder auch in Wien oder sonst wo in Österreich verbinden diese sich zu neuartigen Formen des Zusammenlebens.

Stichwort Leitkultur

Was dabei herauskommt, ist ein ganz normaler österreichischer Alltag. Allerdings: Obwohl zigtausendfach gelebt, bleibt er doch weitgehend unsichtbar. Auch in der gegenwärtigen heißen Debatte. Denn Tanjas Alltag und Igurs Alltag widersprechen den gängigen Vorstellungen von Integration, vom Zusammenleben in einer Einwanderungsgesellschaft. Diese Integrationsangebote sehen nämlich vor, dass sich die Zuwanderer in einer bestehenden österreichischen Kulturlandschaft – Stichwort Leitkultur – einzugliedern haben. Sich wie Tanja und Igur in einem Migranten-Netzwerk zu bewegen, die Freizeit in „ethnischen“ – das heißt, nicht von Österreichern frequentierten – Cafés, Klubs und Vereinen zu verbringen, gilt als Ausdruck fehlenden Integrationswillens. Da und dort sogar als böswillige Verweigerungshaltung. Hingegen wird die Eingliederung als gelungen betrachtet, wenn sich Migranten eindeutig auf ihre neue österreichische Heimat festlegen.

Vieles bleibt Fiktion

Aber eine Idee von Heimat, die von den vielfältigen, globalisierten Beziehungen absieht, ist eine Fiktion. Die Wirklichkeit in Städten, wie Graz, Innsbruck, Wien, Bregenz, in denen ein Drittel der Bevölkerung keinen österreichischen Pass besitzt, spricht eine andere Sprache. Die meisten Jugendlichen, mit denen Tanja und Igur in Schule und Freizeit zusammenkommen, stammen wie sie aus Migranten-Familien. Viele sind hier geboren, andere Kinder mit ihren Eltern eingewandert. Sie fühlen sich wohl in ihrer Umgebung, die der Heimat ihrer Eltern entspricht. Und das spürt man auch in den Cafés, Gasthäusern und in den Vereinen in den Bezirken hier in Graz. Dass die ursprünglichen Gasthäuser und Beisl „made in Austria“ dort wenig Chancen zum Überleben haben, ist klar.

Dass die Österreicher per Geburt in diesen Städten eigentlich die Mehrheit stellen, fällt in Tanjas und Igurs Umfeld kaum auf. Aus dieser Sicht erscheinen Tanjas und Igurs Klassenkameraden Anika und Siegfried eher als Ausnahme. Eigenartig. In den Beziehungen der Jugendlichen untereinander spielt aber die Zuordnung nach Nationalitäten durchaus eine Rolle. Schließlich will man sich ja von den anderen unterscheiden. Doch man trifft sich auf der Ebene vergleichbarer Erfahrungen wieder. Die Herkunftsländer sind verschieden, doch gemeinsam ist die Migranten-Geschichte, mit der sich alle auf ihre jeweilige eigene Weise auseinandersetzen.

In den Ferien freuen sich Tanja und Igur, ihre Großeltern wiederzusehen, aber dem dortigen Dorfleben können sie nicht mehr viel abgewinnen. Sie schätzen die Freiräume, die sie in der Stadt haben. Zurück wollen sie nicht. Sie sehen ihre Zukunft hier in ihrer neuen Heimat.

Integration im Alltag

Was bedeutet sie? Wo die Zuwanderer doch in die alltäglichen sozialen Verkehrskreise alteingesessener österreichischer Stadtteil-Bewohner eingebunden sein sollen. Sie gibt es nicht wirklich. Denn was Tanja und Igur als integriert betrachten, das ist eher der Mikrokosmos der Einwanderungsgesellschaft, wie er eben für Graz in den Bezirken Lend und Gries typisch ist.
Tanja und Igur gliedern sich sozusagen selbst ein, suchen sich ihren Platz in unserer Gesellschaft selbstständig und müssen ihre Lebenswelt kreativ gestalten. Denn es geht dabei auch um die Verständigung zwischen Einwanderern verschiedener Nationalitäten. Viele ihrer Schulkameraden sind hier geboren, gelten aber noch immer als Türken oder Jugos. Dabei nimmt die Zahl der sesshaften Österreicher in den Bezirken kontinuierlich ab. Also jene nationale Mehrheit, auf die sich das „Integrationsideal“ noch immer bezieht.

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